Eine Rose im Winter
dieser Seton ist ein schöner Kerl, wenn man was für diese Sorte harter, knochiger Backen übrig hat.« Avery rieb mit den Knöcheln über sein eigenes hängendes Doppelkinn. »Aber für die, die was verstehen, ist er einer von der kalten Sorte, jawohl, das ist er. Ein Mann kann das in seinen Augen lesen.«
Erienne erinnerte sich an die Wärme dieser kristallklaren Augen und bezweifelte die Beobachtung ihres Vaters; sie konnte einfach nicht wahr sein! In jenen grünen Augen war vibrierendes Leben und eine Kraft, die kein Mensch ableugnen konnte.
Avery fuhr in seinem schwülstigen Redefluss fort: »Ich bedauere schon heute das arme Mädchen, das den Kerl mit seiner hochnäsigen und tückischen Art mal heiratet.«
Selbst wenn sie den Mann nicht ausstehen konnte, so vermochte Erienne wiederum nicht einer Meinung mit ihrem Vater zu sein. Ganz gewiß wäre die Ehefrau von Christopher Seton viel eher von allen beneidet als bemitleidet.
»Du brauchst dich nicht zu sorgen, Vater.« Ihr Lächeln war irgendwie traurig. »Nie wieder werde ich auf Mr. Setons Listen hereinfallen.«
Sie entschuldigte sich und stieg die Stufen der Treppe hinauf. Minutenlang blieb sie vor Farrells Tür stehen. Sein Schnarchen dröhnte immer noch ungestört. Zweifellos würde er den ganzen Tag lang durchschlafen, um am Abend frisch zu sein für die nächste Zecherei.
Sie zog leicht die Augenbrauen zusammen und sah sich um. Auf dem Treppenabsatz hing der Duft eines milden, männlichen Toilettenwassers; und für eine flüchtige Sekunde flackerten die grünen Augen, erhellt von einem silbrigen Grau, durch ihre Sinne und deuteten an, was die breiten und offenen Lippen nicht gewohnt waren auszusprechen. Sie schüttelte den Kopf, um das Bild zu vertreiben, und dabei fiel ihr die oberste Stufe ins Auge. Die Erinnerung daran, wie er sie zurückgehalten und sekundenlang an sich preßte, ließ sie taumeln, und Schauer rannen ihr über den Körper. Sie konnte die entschlossen-festen Arme geradezu um sich fühlen, und die schlanke, glatte, muskulöse Brust, wie sie sich an ihren Busen drückte.
Bei diesen Gedankengängen spürte Erienne eine flammende Röte im Gesicht, und sie eilte in ihr Zimmer, wo sie auf das Bett fiel. Da lag sie und starrte aus dem regennassen Fenster. Seine feine Spöttelei hallte in ihren Gedanken wider.
Vor ihm niederwerfen! Über mich hinwegsteigen! Kuh!
Plötzlich riß sie ihre Augen weit auf, als ihr klar wurde, was er da eigentlich gesagt hatte. Sie konnte nicht die geringste Spur Witz darin finden, daß er über sie hinwegschreiten würde, um zu einer Kuh zu kommen. Sie verfluchte seine spitze Zunge und sich selbst, daß sie nicht sofort begriffen hatte, was er sagen wollte. Sie stieß ein gequältes Stöhnen aus, als sie sich auf den Rücken warf und zu den Rissen in der Tünche der Zimmerdecke hinauf starrte. Auch von dort kam nicht mehr Trost als von den regennassen Fenstern.
Unten in der Wohnstube lief Avery immer noch in heftiger Erregung auf und ab. Der Versuch, für seine Tochter einen reichen Ehemann zu finden, erwies sich als die schwierigste Aufgabe in seinem Leben. Das Leben hatte sich von seiner ironischsten Seite gezeigt, daß genau in dem Augenblick, als Silas Chambers sich für den Gedanken erwärmte, eine junge und schöne Jungfrau als Ehegespons zu bekommen, dieser Vagabund Seton auftauchen und die ganze Affäre zerstören mußte, als hätte er der Familie Fleming nicht schon genug Leid zugefügt.
»Verdammt!« Avery schlug sich mit der rechten Faust in die linke Hand und suchte dann nach einem starken Schluck, um sowohl den Schmerz in der Hand wie in seinem Kopf zu lindern. Ruhelos nahm er seine Wanderung durch die Stube wieder auf und verfluchte sein Pech: »Tod und Teufel!«
In den Diensten seiner Majestät war er, Avery, recht schön vorwärtsgekommen, als er – mehr aus Versehen – einen gewissen Baron Rothsman vor der sicheren Gefangennahme durch irische Rebellen gerettet hatte. Der Baron erwies sich als überschwänglich in seinem Dank, drängte den alternden Captain dazu, sich zur Ruhe zu setzen, und forderte ihn statt dessen auf, als Begleiter seiner Dienste am Londoner Hof zu dienen. Der Einfluß des Barons kam ihm zugute, und er erklomm recht schnell eine Sprosse nach der anderen auf der Leiter der politischen Karriere.
Averys Augen verschwammen, und er probierte ein zweites Glas des feurigen Tranks.
In seinen Erinnerungen war das eine herrliche Zeit, ein endloser Wirbel von
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