Eine Rose im Winter
Glitzern in seinen Augen hinter den Öffnungen wahrnahm.
»Also?« rief er. »Wissen Sie es?«
»Allan hat meinem Vater eine Nachricht geschickt«, beeilte sie sich zu erklären. »Ich hatte wirklich keine Ahnung, was er getan hat, bis ich sie las. Er hält sie in einem alten verlassenen Schloß irgendwo im Süden von York fest, glaube ich. Ich war eben dabei, mich darum zu kümmern, ob es Erienne gut geht. Gibt es etwas auszurichten …« Sie blieb stolpernd stehen, als die Augen hinter der Maske einen harten Glanz zeigten, und sie spürte, daß er ihre Lüge durchschaut hatte.
»Falls es Ihnen nichts ausmacht, Miß Talbot, werde ich mitkommen. Meine Kutsche kann uns folgen.«
»Aber …« Sie suchte nach einer Ausrede, um ihm zu entgehen, doch als sie in das gefrorene lederne Lächeln starrte, wußte sie, daß sie in der Falle saß. In einem letzten Versuch, zu entkommen, fragte sie: »Wissen Sie, daß Ihre Frau ein Kind erwartet – von diesem Christopher Seton?«
Sein Blick veränderte sich nicht.
»Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, sehr wohl.« Der verhüllte Kopf nickte langsam. »Ich habe mit ihr viel darüber zu reden.«
Claudias Augenbrauen hoben sich, als ihr ein neuer Gedanke durch den Kopf schoß. Vielleicht war von ihrer Rache noch viel zu retten, wenn sie diese Schreckgestalt von einem Mann zu ihrer Feindin brachte. Vielleicht würde er beim Anblick von Erienne gewalttätig werden, und sie konnte Zeugin sein, wie dieses Frauenzimmer die Prügel bekam, die ihr rechtmäßig zustanden. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie an diesen Ausgang der Geschichte dachte. War Lord Saxton erst einmal mit seiner Frau fertig, dann würde sie auch Christopher Seton nicht mehr ansehen wollen. Und dann wäre sie, Claudia, zur Stelle, um ihn über den Verlust seiner Geliebten hinwegzutrösten.
Fast erleichtert und wieder guter Laune bat sie den Verkrüppelten, ihr zu folgen. »Kommen Sie. Wir werden eine Weile unterwegs sein und müssen uns beeilen wegzukommen, wenn wir das Schloß noch bis Mittag erreichen wollen.«
Lord Saxton folgte ihr, an dem Butler vorbei, seinen schweren Fuß hinter sich herziehend. Charles starrte ihnen verwundert nach. Wohl wußte er, daß die Launen seiner Herrin schnell zu wechseln pflegten, doch er fragte sich, ob es wirklich klug von ihr sei, allein mit diesem Biest, das sie auf der Treppe bedroht hatte, wegzufahren. Er schloß die Tür hinter dem Paar und schüttelte den Kopf, während er durch die Empfangshalle ging. Eine Bewegung auf der Galerie ließ ihn innehalten, und er sah nach oben, wo die Zofe sich über das Geländer beugte. Nun, nachdem die Herrin weg war, brauchte sie ihren Hass nicht mehr zu verstecken.
»Ich hoffe, er schmeißt sie irgendwo in eine Jauchegrube.«
***
Avery war es gelungen, einen Wagen zu finden, der ihn bis in die Nähe von Talbots Anwesen mitnahm. Der Schafzüchter, dem der Karren gehörte, hatte sich mit großem Misstrauen die kalkweißen Beine betrachtet, die unter dem eigenartigen Rock, der seine Lenden bedeckte, hervorkamen. Doch als Avery sich zu seiner schnellsten und schmerzhaftesten Gangart aufraffte, um den Weg bis zum Herrenhaus der Talbots schnell hinter sich zu bringen, war es ihm gleichgültig, was der Mann von ihm dachte. Unterwegs waren sie von der Kutsche der Talbots überholt worden, und durch das Fenster hatte er den Lord darin gesehen. Avery war von seinem Bemühen, den Mann möglichst noch abzupassen, bevor er sich anderen Dingen zuwandte, so besessen, daß er sich um seine Kleidung überhaupt keine Gedanken machte.
Er zog den Rock, den er sich aus den Resten seiner Kniehose gefertigt hatte, herunter, als ein plötzlich aufkommender Wind über sein Hinterteil strich; doch ließ er in seinem energischen Tempo nicht nach, als er das Herrenhaus vor sich sah. Talbots Kutsche stand in der Auffahrt vor dem Portal. So gut wie möglich ordnete er seine zerknitterten, schmutzigen Kleider und erklomm die zwölf Stufen bis zum Portal des Hauses. Sein beharrliches Klopfen ließ den würdigen Butler erscheinen, der einen Anfall von Übelkeit erlitt, als er sah, was ihm da gegenüberstand. Sein Blick maß den zerlumpten Mann verächtlich von oben bis unten. Schließlich fand er seine Arroganz wieder und fragte von oben herab: »Ja?«
»Ah, wie ich sehe, ist Seine Lordschaft zu Hause.« Avery räusperte sich. »Ich mochte 'n paar Minuten mit ihm reden.«
Mit einem Ruck zogen sich Charles' Augenbrauen nach oben. Dann hob er den
Weitere Kostenlose Bücher