Eine Rose im Winter
und niemand sie in ihrem Tun hinderte. Mit ihrer Arbeit und der Beobachtung des Hundes beschäftigt, übersah sie den Schatten nahe der Hausecke, wo ein Mann stand und sie betrachtete.
Mit warmherziger Bewunderung glitt Christopher Setons Blick über den wohlgeformten Körper. Der leichte Wind spielte mit den dunklen Locken. Sie hielt in ihrer Arbeit inne und steckte die Strähnen unter das Tuch. Sie reckte ihre Arme nach vorn, als sie sich einer anderen Arbeit widmete, und für einen Augenblick lag das Mieder ihres Gewands so eng an ihrem schmalen Rücken, daß er davon überzeugt sein konnte, daß ihre Taille wahrhaftig von Natur aus so schmal sei und nicht durch Stangen und Schnüre zusammengepresst werde. Auf seinen weiten Reisen hatte er viele Frauen gekannt und war sehr wählerisch geworden. Seine Erfahrungen waren keineswegs mangelhaft, doch es bestach ihn außerordentlich, daß dieses köstliche Geschöpf, über das sein forschender Blick so sorgfältig glitt, alles übertraf, dessen er sich erinnern konnte, ob hier oder auf der anderen Seite eines jeden Ozeans.
Während der letzten drei Jahre hatten seine vier Schiffe fernöstliche Meere befahren, neue Häfen aufgesucht und gute Handelsware erworben. Er war durch und durch ein Seemann geworden, und nur zu oft war er lange Zeit an sein Schiff gefesselt, wenn es unter Segel lief. Seit er in England angekommen war, forderten andere Dinge seine Aufmerksamkeit, und er hatte ganz zwanglos darauf verzichtet, eine neue Beziehung aufzubauen, es sei denn, eine Partnerin, die seiner wert war und voll und ganz seinen Wünschen entsprach. Daher blieb er von dem, was er da vor sich sah, nicht unberührt. Erienne Fleming umgab eine gewisse anmutige Naivität, die ihn völlig verwirrte; und er dachte bei sich, wie sehr es ihn freuen würde, sie in die Geheimnisse der Liebe und des werbenden Liebhabers einzuweihen.
Erienne griff nach einem Scheit Holz, um es aufs Feuer zu werfen. Dabei erblickte sie den Hund, der sich an das rohe Fett, das auf einem nahe stehenden Tisch aufgeschichtet war, heranschleichen wollte. Als er zu seinem Loch im Zaun lief, hob sie den Arm, um ihm mit einer Drohung das Scheit nachzuwerfen. Als sie sich zu dem Hund umdrehte, entdeckte sie endlich den hochgewachsenen, elegant gekleideten Betrachter. Der Schrecken, der sie durchfuhr, ließ sie den Atem anhalten. Verblüfft starrte sie zu ihm hinüber; es war ihr höchst peinlich, daß er Zeuge ihrer unwürdigen Arbeit und nachlässigen Kleidung war, während er in seinem königsblauen Rock über den grauen Hosen und der ebenfalls grauen Weste so schmuck aussah. Wie durch einen Nebel kam ihr der Gedanke, daß sie ob seines heimlichen Eindringens verärgert sein müsse; aber ehe dieser vage Gedanke feste Formen annehmen konnte, sprang der Mann über den niedrigen Zaun und kam in langen, schnellen Schritten auf sie zu. Ihre Augen weiteten sich vor Furcht, und langsam quälte sich ein Schrei in ihrer Brust empor. Obwohl sie sicher war, jetzt gleich entehrt zu werden, schienen ihre Beine wie gelähmt, und sie verharrte wie angewurzelt.
Und da stand er vor ihr! Aber anstatt sie auf die Erde zu werfen, beugte er sich zur Seite und bewahrte ihren Rocksaum vor dem flammenden Feuer. Mit kräftigen Schlägen seines Huts löschte er die Flammen. Dann hob er den schwelenden Stoff, rieb ihn gegeneinander, bis kein Rauch mehr herausschlug. Als sie ihn anstarrte, richtete er sich auf und hielt ihr eine Handvoll verkohlten Rocksaums zur Prüfung hin.
»Ich vermute, meine liebe Erienne«, begann er besorgt – den Spaß in seiner Stimme verbarg er unter einem missbilligenden Runzeln der Brauen –, »daß Sie entweder einen Hang zur Selbstzerstörung haben … oder Sie stellen mich irgendwie auf die Probe … oder prüfen meine Fähigkeit, Sie zu beschützen. Ich nehme an, dies bedarf weiterer Untersuchungen.«
Als sein Blick sehr interessiert an dem langen Bein, das der geraffte Rock freigab, herunterglitt, dämmerte es Erienne, daß er daran viel mehr interessiert war. Sie riß ihm den Saum des Rocks aus den Händen, sah den Mann von der Seite an und trat einen Schritt von ihm zurück. Fragend schaute sie ihn an, als er seinen Hut beiseite legte und seinen Überrock über eine Bohle warf. Das Feuer verströmte genügend Hitze, so daß er sich auch ohne Rock behaglich fühlen konnte. Und für einen Mann, dem der Zutritt zu diesem Haus verboten war, schien Christopher Seton sehr gelassen.
»Für das, was Sie
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