Eine Rose im Winter
taten, muß ich Ihnen vermutlich danken«, gab Erienne widerstrebend zu, »aber hätten Sie nicht hier gestanden, wäre es niemals geschehen.«
Seine Augenbrauen zogen sich in vermeintlicher Frage zusammen, während ein Lächeln über seine Lippen flog. »Ich bitte um Verzeihung. Es kam mir nie in den Sinn, Sie zu erschrecken.«
»Was taten Sie denn? Mir nachspionieren?« Ihre Frage war unverhohlen, als sie sich auf eine Bank fallen ließ und ihre verkohlten Röcke untersuchte.
Die schmalen harten Muskeln seiner Schenkel bewegten sich unter den engen Hosen, als er sich halb setzte und halb auf den Hocker neben der Bank kniete. »Ich langweilte mich allmählich beim Anblick der Damen, die ziellos durch die Märkte streifen. Darum kam ich hierher, um festzustellen, ob die Aus- und Anblicke hier, am Haus des Bürgermeisters, erfreulicher seien.« Seine Mundwinkel zuckten belustigt, und seine Augen strahlten sie an, als er hinzufügte: »Und ich bin glücklich festzustellen: Sie sind es!«
Im Nu war Erienne aufgesprungen. »Haben Sie nichts Besseres zu tun, als Frauen nachzustellen?«
»Ich vermute, daß ich etwas anderes als Beschäftigung finden könnte«, erwiderte er gelassen. »Aber mir fällt nichts anderes ein, was nur halb so bezaubernd ist wie die Gesellschaft einer Dame.«
»Außer der Tatsache, daß Sie sich gern an Spieltischen herumtreiben«, antwortete sie spitz. »Abgesehen davon vermute ich allmählich: Sie sind ein Schürzenjäger und Wüstling.«
Christopher lächelte überlegen, als ihre Beschimpfungen ihn überschwemmten. »Ich war lange Zeit auf See. Jedoch ich bezweifle, daß sich in Ihrem Fall mein Verhalten anders wäre, selbst wenn ich soeben den Hof von London verlassen hätte.«
Eriennes Augen flammten vor kaum unterdrücktem Zorn auf. Dieser unerträgliche, selbstgefällige Kerl. Wagte er sich einzubilden, an der Hintertür des Bürgermeisterhauses ein williges Mädchen zu finden? »Ich bin sicher, daß Claudia Talbot sich über Ihre Begleitung freuen würde, Sir. Warum reiten Sie nicht hinüber, um sie zu sehen? Wie ich hörte, reiste seine Lordschaft heute morgen nach London.«
Er lachte nur sanft über ihre höhnischen Worte. »Ich ziehe es vor, Ihnen den Hof zu machen.«
»Weshalb?« spottete sie. »Weil Sie die Pläne meines Vaters vereiteln wollen?«
Seine lächelnden Augen fingen ihren Blick schließlich auf und hielten ihn gefangen, bis sie spürte, wie Wärme in ihre Wangen strömte. Er sprach bewußt langsam: »Weil Sie das schönste Mädchen sind, das ich je gesehen habe, und ich möchte Sie gerne besser kennenlernen. Und natürlich sollten wir uns auch gründlicher um die unglücklichen Zufälle in Ihrer Familie kümmern.«
Auf ihren Wangen erschienen zwei rote Flecke; aber die hereinbrechende Dämmerung half, das Erröten zu verbergen. Hochmütig hob Erienne die Nase in die Luft, wandte sich ab und warf ihm einen misstrauischen Blick zu. »Wie vielen Frauen haben Sie das schon gesagt, Mr. Seton?«
Ein gezwungenes Lächeln begleitete seine Antwort. »Mehreren, glaube ich; aber ich habe nie gelogen. Jede hatte zu seiner Zeit ihren Platz, und bis heute sind Sie wahrhaftig die Beste, die ich je gesehen habe.« Er griff hinüber, nahm sich eine Handvoll der knusprigen Fleischstückchen und kaute sie, während er auf ihre Erwiderung wartete.
Röte des Zorns breitete sich über das ganze Gesicht aus, und eisiges Feuer glomm in den tiefen blauvioletten Augen. »Sie eingebildeter Kerl, Sie sind durch und durch ein Lümmel!« Ihre Stimme war so kalt und ohne Gefühl wie die russische Steppe. »Meinen Sie etwa, Sie können mich der langen Liste Ihrer Eroberungen hinzufügen?«
Ihre kühle Verachtung traf ihn von Angesicht zu Angesicht, bis er aufstand und sie hoch überragte. Seine Augen blickten in die Ferne, und er streckte einen Finger aus, um nach einer Locke zu schnippen, die sich unter ihrem Kopftuch hervorgestohlen hatte.
»Eroberung?« Seine sonore Stimme war sanft. »Sie irren sich in mir, Erienne. Im Augenblick einer jähen Lust gibt es erkaufte Gunst, aber die ist bald vergessen. Die Zeiten, die man hochschätzt, und an die man sich erinnert, sind nicht genommen worden, sondern geschenkt, geteilt, sie beglücken jeden gleichermaßen und werden darum als ein Stück Herrlichkeit lieb gewonnen und bewahrt.« Mit den Fingerspitzen hob er seinen Mantel auf und warf ihn über die Schulter. »Ich bitte Sie nicht, sich mir hinzugeben, noch steht mein Begehren danach, Sie
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