Eine Rose im Winter
im Schilde führen. Vielleicht hat der Bürgermeister außer seinem Jungen noch 'nen anderen Grund, Sie von seinem Mädchen fern zu halten.«
»Noch nicht.« Die Antwort war scharf.
Der Alte meckerte vergnügt. »Klingt ja wie 'ne Drohung, Herr.«
Christopher nickte kurz und zustimmend, ergriff die Zügel und trabte gelassen davon. Ben sah ihm eine Weile nach, hörte dann von hinten ein sich schnell näherndes Hufgeklapper, vor dem er sich gerade noch zur Seite springend retten konnte, als Timmy Sears auf seinem Ross vorbeisprengte. Unbeachtet von dem rothaarigen Mann sprang Ben wieder auf, um seine Faust hinter ihm zu schütteln. Erst als Timmy ein bis zwei Pferdelängen außer Hörweite war, gab Ben einige kräftige Flüche von sich. In seiner Wut merkte der alte Mann nicht, daß sich hinter ihm schnell ein weiterer Reiter näherte.
Haggard sah plötzlich eine Gestalt im Wege stehen und zerrte verzweifelt an den Zügeln, um sein schäbiges, langhaariges Tier zum Stehen zu bringen, bevor es den Mann trat. Das Ross hatte allerdings seine eigene Meinung, da es viel zu spät in seinem Leben kastriert worden war und somit immer noch etwas von dem eigenwilligen Temperament eines Hengstes in sich hatte. Das Pferd folgte dem Befehl seines Reiters nicht, da es bis zum letztmöglichen Augenblick keinen Grund sah, stehenzubleiben. Aber plötzlich, mit einem Ruck, stand es bockbeinig still. Haggie schlug es zweimal im Sattel auf und ab, bevor er sich endlich mit tiefem Stöhnen und verzerrtem Gesicht ruhig hinsetzen konnte. Ben sah sich um und stolperte zur Seite, um ihm den Weg freizumachen. Und nun bevorzugte Haggie einen ziemlich steifen Reitstil. Er hielt seinen Körper kerzengerade im Sattel, während seine Beine den Bauch des Tiers umklammerten, denn dies erwies sich als einzige Weise, einigermaßen bequem seinem Gefährten auf den sich dahinwindenden Straßen zu folgen.
***
Christopher Seton verabschiedete sich von dem Maat und verließ das Lotsenboot, um die Leiter zum Dock hinaufzuklettern. Er schlug sich den Staub von den Händen, drückte sich den Hut gegen die Abendbrise in die Stirn und ging mit leichten Schritten hinauf zur Scharlachroten Hirschkuh, einer Hafentaverne, die für ihr kühles Ale, das in einem tiefen Keller zwischen den Stützbalken lagerte, bekannt war. Viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, als er durch die engen Gassen lief, die sich am Hafen zusammendrängten.
Kapitän Daniels war mit seinem Schiff aus London zurück und hatte auf das Geheiß von Christopher von dort verschiedene Güter mitgebracht. Beim ersten Morgengrauen würde er wieder Segel setzen und sich zu einer Stelle begeben, die Christopher auf der Karte eingezeichnet hatte. Dort würde der Kapitän die Waren an Land bringen, um dann vor seiner Abreise nach London und erneutem Auslaufen für eine Zeit in Wirkinton zu bleiben. Bevor die Anker gelichtet wurden, hatte man für die Mannschaft einen Turnus festgesetzt, nach dem die meisten von ihnen einige Stunden an Land und in den Hafenschänken verbringen konnten, während die anderen an Bord Wache hielten.
An diesem späten Nachmittag war die Hirschkuh leer, und es schien, als ob der gelangweilte Schankwirt Christophers Ankunft begrüßte. Der Mann an der Bar schickte den Jungen nach einem frischen Krug Bier in den Keller und redete ohne Unterlass, bis der Gast einen schaumgekrönten Krug mit kühlem Bier in der Hand hielt. Christopher nahm das Gefäß und suchte sich einen bequemen Platz am Herdfeuer, das den Schankraum erwärmte. Die Füße auf einem kleinen Schemel, starrte er in das unruhige Feuer, dessen Flammen in einem faszinierenden Ballett tanzten und sprangen, doch seine Gedanken wanderten weit fort. Vor seinem inneren Auge sah er eine Fülle schwarzen, lockigen Haars. Unter der klaren Stirn leuchteten mit ihrem eigenen Licht aus dem Dunkel der Wimpern violette Augen, deren Farben aus der Tiefe wie die Schattierungen wertvoller Edelsteine schimmerten. Er runzelte die Stirn und zog die Brauen zusammen; seine Augen wurden kalt und stechend, bis er endlich in der Erinnerung einen Augenblick fand, in dem diese schimmernden Augen fröhlich lachten. Dieses Bild hielt er fest.
Und da war noch die Nase. Schmal, gerade und fein geschnitten, aber etwas zu keck, was sie vor der absoluten Perfektion bewahrte. Die Züge waren von erlesener Zerbrechlichkeit; das Gesicht weder schmal noch hager, weder zu breit noch so rund wie der Mond. Nein, ein sanftes Oval, mit sanft
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