Eine Rose im Winter
kam. Lange Finger ergriffen ihren Ellbogen und hielten sie fest, bis sie ihr Gleichgewicht zurückgewonnen hatte. Wütend über sich selbst, daß sie sich so schwach gezeigt hatte, hob Erienne ihr Kinn. Die graugrünen Augen ruhten auf ihr mit einem Ausdruck, den man als Leidenschaft oder Mitleid gleichermaßen deuten konnte. Sie konnte es nicht länger ertragen.
»Bitte … nicht doch … fassen Sie mich nicht an«, flüsterte sie.
Seine Hand verschwand, und er lachte kurz und spöttisch. »Wenn Sie das Ihrem Ehemann sagen, meine Liebe, vergessen Sie nicht, energischer zu sein. Vielleicht ist es dann wirkungsvoller.«
Er ging mit ruhigen Schritten davon, und Erienne sah durch ihren Tränenschleier, wie der Wagen der Talbots heranfuhr und Claudias Gesicht wieder am Fenster erschien.
»Sieh mal an, Christopher, was machen Sie hier?« Claudia setzte eine beleidigte Miene auf, als er an den Wagen herantrat. »Sagen Sie mir bloß nicht, daß Sie sich eine Frau ersteigern wollen! Für einen Mann mit Ihrem Geld und Ihrem Aussehen gibt es sicher noch Besseres als Erienne Fleming.«
Christopher konnte sich gut vorstellen, an wen sie dabei dachte. »Ich bin hier, um eine beträchtliche Schuld einzutreiben.«
Claudia lachte erleichtert. »Gut, das kann ich verstehen. Doch nicht etwa wegen der anderen Sache …!! Ich hatte schon geglaubt, Sie hätten Ihren Verstand verloren!«
Ein mildes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab: »Nicht ganz.«
***
»Kommt nur näher, Gentlemen«, rief Avery marktschreierisch. »Kommt her und erfreut Eure Augen an diesem liebreizenden Kind. Ihr werdet keine mehr sehen, mit der sie zu vergleichen ist, wenn sie mal einer genommen hat. Kommt und seht! Die Versteigerung wird jeden Augenblick anfangen.«
Avery ergriff Eriennes Mantel, und als sie sich zu widersetzen versuchte, lachte er auf und zog ihn ihr mit einer spöttischen Geste herunter. Ein lauter Sturm der Zustimmung kam von den Zuschauern, als die Männer ihre Augen an das Versteigerungsobjekt hefteten. Avery schob seine Finger in den dichten Haarknoten, riß ihn auf und ließ Eriennes langes Haar über Schultern und Busen fallen.
»Seht selbst, Gentlemen, ist sie nicht ein Vermögen wert?«
Eriennes Kiefer waren aufeinandergepreßt, als sie in die Menge der glotzenden Lüstlinge hinuntersah. Sie fühlte, wie es ihr heiß den Rücken hinunterlief und sie nur mit äußerster Kraft ihr Gleichgewicht haken konnte. Sie hob den Kopf und hielt den Atem an, als sie entdeckte, daß Christopher sie mit voller Aufmerksamkeit beobachtete. Und plötzlich wünschte sie, nicht so stolz und töricht gewesen zu sein, sein Angebot zurückzuweisen. In der Menge hatte sie keinen gesehen, bei dessen Anblick ihr nicht ein kaltes Gefühl des Entsetzens die Kehle zugeschnürt hätte.
Claudias Augen verengten sich, als sie sah, worauf Christophers Blick zielte. Sie räusperte sich und lächelte süß, als er sich umdrehte. »Ich würde Sie gern zu einem Ritt über Land einladen, Christopher, doch es scheint so, als ob Sie die Vorgänge hier sehr interessierten. Vielleicht bleiben Sie lieber hier?« Mit leuchtenden Augen wartete sie darauf, daß er dies bestritt.
»Ich bitte um Vergebung, Miß Talbot.« Über seine Lippen flog ein kurzes Lächeln. »Bei der Schuld handelt es sich um eine beträchtliche Summe, und dies hier mag die einzige Chance sein, an das Geld zu kommen.«
»Oh, ist das wirklich so?!« Es gelang ihr, ihre Verärgerung über seine Weigerung zu verbergen. »Ich werde Sie also Ihren Geschäften überlassen.« Sie konnte sich eine hoffnungsvolle Frage nicht ersparen. »Kann ich Sie vielleicht später sehen?«
»Ich werde heute abend Mawbry verlassen. Meine Geschäfte hier sind abgeschlossen, und ich weiß nicht, wann ich zurückkommen werde.«
»Oh, aber Sie müssen unbedingt!« rief sie aus. »Wie kann ich Sie je wieder sehen, wenn Sie nicht zurückkehren?«
Christopher war über die Direktheit der Dame amüsiert. »Ich werde mein Zimmer hier in der Wirtschaft behalten. Es sollte nicht zu lange dauern, bis ich zurückkomme.«
Claudia seufzte erleichtert. »Sie müssen mich unbedingt wissen lassen, wann Sie kommen, Christopher. Wir werden im Winter einen Ball geben, und ich wäre todtraurig, wenn Sie nicht dabei sein könnten.« Ihre Lippen wurden an den Mundwinkeln etwas schmaler, als er, ohne zu antworten, über seine Schulter sah. Sie begann zu vermuten, daß seine Geschäfte sehr viel mit der Tochter des
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