Eine Rose im Winter
ihr ruhiges Verhalten, musterte Avery sie näher. Er hatte mit ihrem heftigen Widerstand gerechnet und sich darauf eingestellt, fest und unnachgiebig zu reagieren. Daß sie sich so ruhig und unterwürfig verhielt, machte ihn unsicher. Er wurde an ihre Mutter erinnert und wußte, daß sie es nicht geduldet hätte, ihre Tochter so zu behandeln.
»Lass uns gehen«, befahl er mürrisch und verjagte die Gewissensbisse. Er zog seine Taschenuhr aus der Weste und sah, wie spät es war. »Wir haben gerade noch genug Zeit, daß dich die Gentlemen mal ansehen können, bevor das Bieten beginnt. Vielleicht bringt das noch ein bißchen mehr. Ist nicht jeden Tag so 'ne Versteigerung wie heute, mit so einer properen Ware.«
»Ja, es ist wirklich ein seltenes Ereignis, daß ein Vater seine Tochter verkauft«, erwiderte Erienne sarkastisch.
Avery meckerte vor sich hin. »Ich hab' dir, Miß, für die Idee zu danken.«
Entschlossen nahm Erienne ihren wollenen Mantel und den großen Hut, um ihren Kopf zu bedecken und ihr bleiches Gesicht so gut wie möglich vor den neugierigen Blicken zu schützen. Ihr Stolz war tief verletzt, doch die Angst vor dem, was vor ihr lag, ließ sie vor Feigheit zittern. Wohl hatte sie das Versprechen gegeben, daß sie zur Versteigerung gehen und den Mann heiraten würde, der sie kaufte, doch waren damit ihre Ängste und Befürchtungen nicht ausgelöscht.
Lord Talbots Wagen war ein Stück entfernt von dem Haus an die Straßenseite gefahren, und als Avery seinen Hals reckte, um zu sehen, wer drin war, kam Claudia ans Fenster. Sie sah Erienne mit einem herablassenden Lächeln an.
»Meine liebe Erienne, wie sehr ich dir alles Glück wünsche, daß du unter dieser Ansammlung widerspenstiger Seelen einen Mann findest. Sieht so aus, als ob du das Interesse der ganzen reichen Kerle in unserer Gesellschaft geweckt hättest. Ich bin nur froh, daß ich nicht in deiner Lage bin.«
Ohne ihren Kopf zu bewegen oder etwas zu erwidern, setzte Erienne ihren Weg fort. Das mokante Gelächter der Frau bestärkte sie in ihrem Entschluß, daß sie alles tun mußte, um dieses Treiben mit der ganzen ihr zur Verfügung stehenden Würde zu überstehen. Was blieb ihr anderes übrig, da sie wußte, daß jeder Protest erfolglos bleiben mußte?
Wie üblich fanden sich auch einige Städter in der Menge, und sie entdeckte einige Fremde unter ihnen. Die Männer betrachteten sie sorgfältig, als sie näher kam. Das Grinsen, das sich über ihre Gesichter zog, zeigte ihr, wohin ihre Gedanken gingen. Wenn sie sich einmal unter Christophers Blicken ausgezogen gefühlt hatte, so beschmutzten sie nun die lüsternen Blicke dieser Männer.
Farrell hatte vor der Wirtschaft eine kleine Tribüne errichtet, und als sich die Menge vor ihr teilte, heftete sie ihre Blicke auf dieses Holzgestell, um nicht die Gesichter der Männer erkennen zu müssen, die, wie sie fürchtete, anwesend sein würden. Sie hatte kein Verlangen, Harford, Smedley oder irgendeinen der anderen Bewerber, die sie abgewiesen hatte, zu sehen.
Wie in Trance schickte sie sich an, die Stufen hinaufzusteigen, als sich ihr eine helfende Hand entgegenstreckte. Sie war kräftig, schlank, gut gepflegt und hob sich dunkel von der strahlend weißen Manschette des Ärmels ab. Der Anblick ließ ihr Herz höher schlagen, wußte sie doch, noch bevor sie aufgesehen hatte, daß sie Christopher Seton neben sich finden würde. Sie hatte recht. Und er sah so gut aus, daß es ihr fast den Atem verschlug.
Avery schob sich rüde zwischen die beiden. »Wenn Sie den Anschlag gelesen haben, Mr. Seton, sollten Sie wissen, daß Sie zum Bieten nicht zugelassen sind.«
Christopher verzog seine Lippen zu einem leicht spöttischen Lächeln und senkte seinen Kopf kurz, um die Ankündigung zu bestätigen. »Sie haben sich hinreichend klar ausgedrückt, Sir.«
»Und was haben Sie dann hier zu suchen?«
Christopher lachte amüsiert. »Wieso, ich habe ein finanzielles Interesse an dem Verlauf der Dinge. Sie werden sich erinnern, daß es da noch eine Spielschuld gibt, die Sie bezahlen wollten.«
»Ich hab's Ihnen doch gesagt!« brüllte Avery ihn an. »Sie werden Ihr Geld schon noch kriegen!«
Christopher griff in seinen Mantel und brachte ein kleines Bündel sauber verschnürter Papiere zum Vorschein. »Wenn Ihnen Ihr Gedächtnis dabei weiterhilft, Bürgermeister, dann erkennen Sie sicher die Schulden, die Sie nicht bezahlt haben, als Sie London verließen.«
Avery sah ihn entgeistert an, unfähig etwas zu
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