Eine Rose im Winter
Namen darunter und bestätigte seine Zeugenschaft. Dann beugte sich Eriennes Vater über das Pergament und malte sorgfältig seinen eigenen Namen unter den des Anwalts. Als man sie nach vorn bat und ihr die Feder aushändigte, konnte Erienne diesen Augenblick nur überstehen, indem sie mit übermäßiger Willenskraft ihre zitternde Angst unterdrückte. Obwohl die Papiere vor ihren Augen verschwammen, war eine schnell pulsierende Ader in ihrem Nacken genau unter ihrem fein ausgebildeten Ohr das einzige Zeichen für ihre Erregung.
Das ganze Treiben kam zu einem gewissen Ende, als man auf den Bräutigam warten mußte. Avery war durch das Warten zunehmend verärgert und fragte in scharfem Ton: »Also, kommt Seine Lordschaft jetzt aus sein'm Loch raus? Oder hat er die Absicht, auch diese Angelegenheit durch seinen Anwalt erledigen zu lassen?«
Der Geistliche beeilte sich, seine Befürchtungen zu zerstreuen. »Ich bin sicher, daß Lord Saxton selbst das Gelübde sprechen wird, mein Herr. Ich werde nach ihm schicken.«
Der Kirchenmann winkte Bundy, und der Bedienstete eilte einen langen dunklen Gang entlang. Er verschwand durch den spitzen Torbogen am Ausgang, und eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis man wieder Schritte im Korridor hörte. Aber was für ein eigenartiges Geräusch: ein Aufstapfen und dann ein Kratzen, so wie das Geräusch eines Schrittes, dem etwas nachgezogen oder nachgeschoben wurde. Als Erienne dies hörte, schnitten ihr die Worte der Dorfbewohner durch ihr Gedächtnis.
Verkrüppelt! Entsetzlich vernarbt!
Das geisterhafte Echo verlor sich langsam, als die Umrisse von Lord Saxton langsam sichtbar wurden. Zuerst war es nur eine schwarze Form mit einem großen Mantel, der fast den ganzen Körper bedeckte. Der obere Teil seiner Figur blieb vom Dunkel des Ganges verborgen, doch als er mehr ins Licht trat, hielt Erienne den Atem an. Sie konnte jetzt erkennen, warum er sich mit dieser eigenartigen, drehenden Bewegung vorwärts bewegen mußte. Der Stiefel seines rechten Beines war mit einer dicken, schweren, rundgebogenen Sohle versehen, um wohl einen verkrüppelten Fuß zu stützen. Nach jedem Schritt mußte er diesen Fuß wieder heranziehen, um an den anderen zu kommen.
Erienne glaubte, der Verstand müsse ihr stehenbleiben und ihr Blick gefrieren. Sie war vor Entsetzen so starr und so gelähmt, daß sie, selbst bei einer Gelegenheit zur Flucht, keinen einzigen Muskel hätte bewegen können. Sie wartete vollkommen erstarrt und wußte nicht, was sie von seiner restlichen Erscheinung erwarten konnte. Nur zögernd erhob sie ihren Blick, und als das Kerzenlicht voll auf seine Gestalt fiel, versagten ihr fast die Knie: Was ihre Augen zu sehen bekamen, war furchterregender als alles, was sie sich jemals vorgestellt hatte.
Gesicht und Kopf von Lord Saxton waren vollkommen von einem schwarzen Lederhelm bedeckt. Für die Augen gab es zwei Sehschlitze, zwei kleinere für die Nasenlöcher und eine Reihe von kleinen viereckigen Öffnungen bildeten einen Mund für die Maske. Es war eine sauber genähte Handwerksarbeit, so gemacht, daß sie genau über seinen Kopf paßte und ohne im geringsten zu verraten, was darunter verborgen lag. Sogar die Augen waren im Schatten der ausgeschnittenen Öffnungen nicht zu sehen.
Wie in halb betäubtem Zustand nahm Erienne zutiefst erschüttert die anderen Einzelheiten seiner Person wahr: Außer einem weißen Hemd war er vollkommen in Schwarz gekleidet. Lederhandschuhe im gleichen Farbton bedeckten seine Hände. Er hielt einen Stock mit einem schweren silbernen Griff. Unter dem Mantel waren starke und breite Schultern zu erkennen, deren linke sich etwas höher als die andere erhob, wobei sie nicht erkennen konnte, ob dies die Folge einer Verkrüppelung war oder durch seinen schiefen Schritt ausgelöst wurde. Alles in allem ein furchterregender Anblick für eine junge Braut, die zum ersten Male ihren zukünftigen Ehemann sieht.
Er blieb vor ihnen stehen und verbeugte sich steif. »Miß Fleming.« Seine Stimme klang dumpf und wie aus weiter Ferne kommend, und er gab ein furchterregendes, zischendes Geräusch von sich, wenn er den Atem durch die Löcher seiner Maske einzog. Er wandte sich mit einer Drehung zur Seite und begrüßte ihren Vater mit einem leichten Kopfnicken: »Bürgermeister.«
Als Avery seinen Mund wieder zubekommen hatte, machte sein Kopf eine kaum wahrnehmbare Bewegung. »Lor… Lord Saxton.«
Der Maskierte wendete Erienne erneut seine volle Aufmerksamkeit zu.
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