Eine Rose im Winter
verkauft wurde. Er war nur daran interessiert gewesen, schnell sein Geld einzustecken, als alles vorbei war. Ihre Antwort kam mürrisch und leise. »Sicher nicht, Mylord. Es gab keine Vorlieben.«
»Gut! Dann habe ich also keinen Grund, mir Vorwürfe zu machen, daß ich Sie den anderen vor der Nase weggenommen habe.« Man hörte das Zischen eines leisen Lachens. »Es war einfach, die anderen oder ich, und ich glaube, Madam, daß Sie mit mir die bessere Wahl getroffen haben.« Sein Handschuh erhob sich kurz, um sein Argument zu unterstreichen. »Nehmen wir zum Beispiel Harford Newton.«
»Die graue Maus?«
»Eine sehr treffende Bezeichnung, meine Liebe.«
»Was ist mit ihm?«
»Hat Ihnen Ihr Vater erzählt, daß seine dreißigjährige Frau sich auf einer Treppe zu Tode stürzte? Es gibt Leute, die sagen, daß Harford sie hinuntergestoßen hätte. Hätte Mr. Jagger nicht von mir die Anweisung bekommen, alle zu überbieten, so würden Sie heute abend mit ihm als seine Braut dinieren.«
Erienne blickte ihn erstaunt an, während seine Worte langsam in ihr Bewußtsein drangen. Mag sein, daß ein Leben mit Harford Newton noch jämmerlicher gewesen wäre, als sie es sich vorgestellt hatte, doch es war ganz sicher keine Garantie, daß die Ehe mit Lord Saxton so viel besser verlaufen würde. »Sie haben sich offensichtlich etwas Zeit genommen, um über meine Bewerber soviel wie möglich herauszufinden. Und warum?«
»Ich wollte mir einfach ein Bild von den Möglichkeiten machen, Madam, die Sie hatten, oder besser, die Ihnen Ihr Vater präsentierte. Ich kam zu dem Schluß, daß ich wahrscheinlich Ihre beste Wahl sein würde.«
»Hätten Sie nicht Ihre Dienstboten angewiesen, mich nach Hause zu meinem Vater zu schicken, so hätte ich vielleicht Arbeit finden können und in einer anderen Gegend ein ruhiges und bescheidenes Leben begonnen.«
»Die Wahrscheinlichkeit, daß Ihnen dies gelungen wäre, Madam, war nicht sehr groß. Als Gentleman fühlte ich mich für Ihr Wohlergehen verantwortlich. In einer Zeit, da man so wenig voraussehen kann, durch welche Launen des Schicksals unser Leben beeinflusst wird, konnte ich Sie nicht ohne Begleitung von hier weggehen lassen.«
»Sie hätten mir aber eine Arbeit vermitteln oder mir sogar hier etwas zu tun geben können. Ich kann sehr wohl Fußböden scheuern oder ein Mahl zubereiten.«
»Das mag schon so sein, meine Liebe, doch wenn Sie sich das genauer überlegen: Mit Ihnen immer in meiner Nähe wäre eines Tages meine Zurückhaltung an ihre Grenzen gestoßen. Wären Sie dann bereit gewesen, meine Geliebte zu werden?«
»Nein, natürlich nicht, aber …«
»Dann sehe ich eigentlich keinen Grund, diese Sache weiter zu diskutieren.« Damit war dieses Thema abrupt beendet.
Obwohl der Koch ein Meister seines Fachs war, hatte Erienne vom Essen kaum gekostet. Sie aß sehr langsam, wußte sie doch, daß das Ende des Mahls, so weit entfernt es im Augenblick noch schien, für sie in jedem Fall zu bald kommen würde. Sie sprach mehr dem Wein zu, doch vermochte auch der nicht, ihre Sinne oder ihre ängstlichen Vorahnungen zu beschwichtigen. Sosehr sie auch versuchte, die Dinge hinauszuzögern – nur zu schnell kam alles zum Ende.
»Es gibt noch einige Dinge, die meine Anwesenheit verlangen«, verkündete Lord Saxton, als sie sich vom Tisch erhoben. »Ich brauche ein paar Minuten, um mich darum zu kümmern. Sie können in Ihren Räumen auf mich warten.«
In ihrem Inneren hörte sie wieder die langsamen Trommelschläge, die von ihrem Verhängnis kündeten, und ihr Herz folgte dem gleichen schweren Rhythmus. In ihren Gliedern fühlte sie eine bleierne Schwere, die jede Bewegung zu einer Anstrengung machte. Ihre Lebensgeister wurden zu taubem Gestein, als sie zum Turm ging und langsam die Stufen nach oben erklomm. In ihrem Schlafzimmer sah sie geistesabwesend auf das große, mit Samtvorhängen verzierte Bett, das bald zum Grab ihrer Jungfräulichkeit werden würde. Trotz der unheilvollen Gegenwart ihres Gatten war es ein herrschaftliches Bett. Die Vorhänge an den Seiten konnten im Inneren die Wärme halten und die Zurückgezogenheit und Ruhe geben, nach der es einem Ehepaar in einer kalten Winternacht verlangte … oder die entsetzten Schreie einer in den Armen eines rohen und perversen Ehemanns gefangenen Frau zu unterdrücken …
Die Sandkörner der Zeit liefen viel zu schnell durch die enge Taille des Glases. Tessie erschien, um ihr in ihr Nachthemd zu helfen und schlug die
Weitere Kostenlose Bücher