Eine Sacerda auf Abwegen
weiterhin keine
Spur von Jeanne D’Arc, deren Überleben nun für alle ausgeschlossen schien.
Hellga von Xanthen war bereits zurück nach Europa gereist. Wie Astyanax
letztendlich auf die Nachricht reagiert hatte, mochte sich Malcolm nicht einmal
im Traum vorstellen.
Junos Schilderung ihres tragischen Schicksals machte sie menschlicher und
greifbarer. Nicht mehr so unnahbar eisig, selbst wenn sie am liebsten ihre
glatte Fassade aufrecht und ohne sichtbare Risse behalten hätte. Doch was
sollte er nun zu ihr sagen, ohne sie erneut verbal anzugreifen oder auf eine
Weise zu bemitleiden, die nur weitere Wut in der Nuntia schüren und für Sidonie
alles in noch schlechtere Verhältnisse verkehren würde? Es war Juno deutlich
anzumerken, dass sie das Mitleid von ihnen nicht wollte. Von brauchen sprach
Malcolm lieber nicht. Zu sehr bestätigte sie seinen Eindruck, dass sie im
Grunde ihres Herzens sehr unter ihrer selbst gewählten Einsamkeit litt, wenn
ihr Trauma sie nicht beherrschte und sie die Gedanken an ihre Familie, die sie
zu ihrer Zeit nie hatte haben dürfen, einholten.
Ihre Entscheidung, Sid bei Bertrand zu lassen, war nachvollziehbar, jedoch
nicht, warum Sids Vater sie nie über die Herkunft und Eigenschaften des
Skarabäus aufklärte, wo Juno ihm doch geschrieben und darum gebeten hatte. War
er zu verletzt oder ungläubig gewesen? Das musste es wohl sein. Das oder der
Brief war niemals angekommen.
Sid barg ihr Gesicht an seiner Brust und versuchte, stark zu sein, brauchte
aber seinen stillen Zuspruch, um es ihrer Mutter in ihrer vorgegaukelten
Gleichgültigkeit nach zu machen und Malcolm hielt sie weiterhin fest. Zwischen
ihnen beiden hätte es genauso kommen können wie zwischen ihren Eltern. Er hatte
sich ebenfalls zurückziehen wollen. Aber nur zu ihrem Schutz und weil das
Zusammensein zwischen ihnen nur seiner Meinung nach unmöglich und kompliziert
gewesen wäre. Dabei hatte er ihr letztendlich nicht mehr verschwiegen, wer er
war und was ihn ausmachte. Es hatte sich in den letzten dreißig Jahren so
vieles geändert. Und wenn man liebte, war es beinahe unmöglich, zu lügen und
sich hinter Vorspiegelungen falscher Tatsachen zu verstecken. Zumindest für
ihn. Aber selbst für eine scheinbar gefühlskalte Frau wie Juno musste es
ungeheuer schwer gewesen sein. Malcolm ging nicht davon aus, dass ihre Gefühle
für Bertrand im Nachhinein oberflächlicher Natur gewesen waren.
“Danke für
Ihre Offenheit.” Malcolm überging Junos sarkastische Nachfrage einfach.
Die Hintergründe genügten, um zu akzeptieren, dass sie sich nicht vorstellen
konnte, in das Leben ihrer Tochter zurückzukehren. Im Moment sah es so aus, als
würden sie niemals Mutter und Tochter werden. Zu viel Zeit war vergangen und
noch mehr Zeit würde ins Land gehen müssen, damit Juno klar wurde, was sie mit
ihrem Auftauchen hier in den Staaten wirklich bezweckt hatte.
Sie hätte es einfach bei einem Anruf belassen oder Manasses damit beauftragen
können, sich nach Sidonies Wohl zu erkundigen. Mit Sid wäre nichts geschehen.
Da sie ihn bereits erwählt und für sich beansprucht hatte, war sie so
selbstbestimmt, wie es in den Geschichtsbüchern der Immaculates stand. Blieb
nur noch ein letzter Schritt zu tun, der Juno wirklich frei von allem machen
würde. Frei von ihnen und sämtlichen Verpflichtungen, die sie immer wieder in
die Vergangenheit zurückholten, mit der sie nichts mehr zu tun haben wollte.
Malcolm nahm seine Hände von Sids Rücken fort und schob sie ihr behutsam in den
Nacken, um den Verschluss der Kette zu lösen. Er nahm ihr den Skarabäus, der
nun vollkommen harmlos vom goldenen Band herunterbaumelte, als läge in ihm
nicht die besondere Kraft des Baal, fort, um ihn Juno hinzuhalten, die die
wahre Besitzerin der Kette war und sie nun zurückhaben konnte.
Juno nahm den
Dank des Enforcers mit versteinerter Miene an. Sollte sie ihm auch danken?
Wollten sie etwa hören, dass darüber zu sprechen, sich irgendwie befreiend auf
sie ausgewirkt hatte? Damit sie sich besser fühlen konnten?
Mit seinem nächsten Schritt hatte sie allerdings nicht gerechnet. Ihre Augen
weiteten sich entsetzt, als sie zusehen musste, wie er die nun nutzlose Kette
löste.
Nein… Nein, das kann er mir nicht antun!
Juno spürte, wie die nackte Angst sich krallenbewährt in ihr Herz schlug, das
nun beinahe zum Zerspringen klopfte. Unter ihrer weiten Kleidung zitterte sie,
weil ein eisiger Schauer über ihre zarte Haut glitt. Sie hatte es nicht kommen
sehen.
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