Eine Sacerda auf Abwegen
Sie war blind in die Falle gelaufen, die von Manasses nicht hätte besser
geplant sein können. Endlich hatte er sie da, wo er sie die ganze Zeit haben
wollte. Wieder unter dem Einfluss des Skarabäus, der sie an seinem Hof zu dem
richtigen Immaculate führen sollte.
“Der
Skarabäus gehört wieder Ihnen, Miss Felix. Sidonie braucht ihn nicht mehr. Ich
werde sie in Zukunft schützen. Da Sie allein sind, sollten Sie ihn vielleicht
wieder an sich nehmen. - Das, was Ihnen passiert ist, tut mir leid. Aber die Vergangenheit
kann niemand ändern. Es ist schade, dass Sie nicht in die Zukunft sehen möchten
und sich lieber selbst ständig für das bemitleiden, was Ihnen zugestoßen ist. -
Alles Gute, Juno. Ich hoffe, das ist das, was Sie sich wünschen. Wir hatten
nicht vor, Sie zu belästigen. Wir wollten nur verstehen, was in Ihnen vorgeht.
Ich wollte nur das Beste für meine zukünftige Frau und die Familie, die wir
bald haben werden. Sie hätten jetzt endlich ein Teil davon sein können. Aber
niemand kann Sie dazu zwingen.”
Malcolm nahm Sid beim Unterarm und nickte der Sophora, die sich nicht weiter
eingemischt hatte, verbindlich und dankbar für ihre Mühen in verabschiedender
Geste zu.
“Diesmal tut es mir leid, Nicolasa. Du hast dein Bestes versucht. Aber wohl
vergebens.”
Sid sollte sich nicht weiter quälen. Er war sich sicher, dass Juno keine
weiteren Auskünfte geben würde und sie auch nicht weiter in sie eindringen
konnten. Das Gespräch war für ihn beendet. Wohl leider ohne das erhoffte,
wenigstens ansatzweise positive Ergebnis.
Zum ersten
Mal seit langer Zeit spürte Juno ein scharfes Brennen in den Augen, doch die
Tränen trockneten schmerzhaft auf ihrer Netzhaut, weil sie nicht ein einziges
Mal blinzelte, während der Enforcer auf sie zukam und ihr den Anhänger
hinhielt. Er baumelte von seiner Hand und die Flammen im Kamin zauberten
rötliche Reflexe darauf. Juno fühlte sich, als fiele sie in ein schwarzes Loch,
wo unsichtbare Hände nach ihr griffen und an ihr zerrten, bis sie in Fetzen
gerissen wurde.
Die Zukunft. Am liebsten hätte sie ihm für diese salbungsvollen Worte
mitten ins Gesicht gespuckt, doch ihre eisige Selbstbeherrschung hielt schon
seit Jahren dem Ansturm von Manasses Provokationen stand. Ein einfacher
Enforcer würde nicht über sie triumphieren. Er dachte keinen Augenblick daran,
wie sie sich fühlte, ihn interessierte nur das Wohlergehen seiner Gefährtin. Er
war einfach ein Heuchler, der für die Situation angemessene Worte äußerte.
Sie hatte genau gesehen, dass er nicht sonderlich beeindruckt gewesen war, als
sie ihre Geschichte zum Besten gab. Er hatte das im Laufe seiner Karriere als
Beschützer wahrscheinlich schon oft genug erlebt. Es gab andere, die noch viel
Schlimmeres erlebt hatten und die sich nicht von der Welt zurückzogen. Juno
kannte jedes prominente Beispiel, die ihr Manasses heruntergebetet hatte.
Es war lange vorbei, sie sollte aufhören, sich selbst zu bemitleiden… Es gab
nichts, was sie nicht schon gehört hatte. Und keine Art von Blick, die sie
nicht schon ertragen hatte. Mitleidig, wütend, angewidert, vorwurfsvoll.
Der Enforcer sollte ihr dankbar sein, dass sie Sidonie in Bertrands Hände
gegeben hatte. Ansonsten wäre er ihr in Europa niemals über den Weg gelaufen.
Sie wäre ein Teil der Immaculate-Gesellschaft geworden, zu der sich Juno nicht
zugehörig fühlte. In ihrer Nähe aufzuwachsen, hätte das Kind wohl nur krank
gemacht. Selbst wenn sie über keinerlei Mutterinstinkte verfügte, wollte sie
das einem anderen Lebewesen nicht antun.
Sie hatte nicht das Kind vermisst, nachdem sie es weggegeben hatte. Sie hatte
sich nur nach dem Mann gesehnt, mit dem sie es unwissentlich und ungewollt
gezeugt hatte.
Langsam hob sie die Hand, als stünde sie unter einem fremden Zwang und spürte,
wie der Anhänger samt Kette langsam auf ihrer kalten Haut auftraf. Der Stein war
vom Tragen angewärmt und es war, als würde sie Sidonie irgendwie berühren,
obwohl sie in sicherem Abstand zu ihr stand. Juno sah zu ihr auf. Ihre Augen
waren dunkelgrau und blickten so stürmisch drein, wie es ihr Vater einst
gekonnt hatte.
Bertrand war Anfang des Jahres gestorben … Sie wusste nicht einmal mehr,
wo sie sich zu der Zeit aufgehalten hatte. Irgendwo im Ausland.
Wie unerträglich wäre es gewesen, ihn nach so kurzer Zeit zu verlieren? Die
Zeit war irgendwie an ihr vorbei geflogen. Nach ihrem angeblichen Tod hatte sie
die Jahre nicht mehr gezählt und war so oft zu Gast
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