Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.
klammerte sich, um nicht wahnsinnig zu werden, an die Arbeit und wurde beinahe wie ein Besessener (das »beinahe« kann man auch weglassen), ein Meister auf seinem Fachgebiet. All das war nur zum Vorteil des Gefangenenpächters, der ein hochwertiges Erzeugnis zu einem niedrigeren Preis als dem auf dem Markt üblichen verkaufen konnte. Wenn der Häftling die ersten Jahre in Isolation überlebte, wurde er für die Folgezeit – ein netter, heuchlerischer Euphemismus für bis zum Tode – zur Gemeinschaftsarbeit, allerdings mit Redeverbot zugelassen.
(Endlich hatte ich das richtige Alter erreicht und konnte zwei kleine Tempel, den der Eintracht und den von Castor und Pollux, zerstören, die seit Urzeiten in einem Fach des Schreibtischs meines Großvaters standen. Der eine war aus Brotkrume und der andere aus kleinen Muscheln gemacht: Schon als kleiner Junge hatte ich insgeheim gewußt, daß sie von Lebenslänglichen gebastelt worden waren. Von Anfang an widerten sie mich an, erschreckten mich. Es war keine Frage des Geschmacks, ich war ja noch nicht im Alter der Reife. Unter den Sachen, die bei mir eine Art schreiendes und zitterndes Unbehagen auszulösen imstande waren, nahmen jene den dritten Platz ein – auf dem ersten stand der Klappzylinder meines Vaters und dann kam irgendein Regenschirm –, doch mit einem Extra: Ich empfand sie als »glitschig und feucht«, wie ich jemandem von meiner Familie zu erklären versuchte, der von mir Rechenschaft verlangte. Es ist dasselbe Gefühl von glitschig und feucht, das mich heute als beinahe alter Mann noch überkommt, wenn ich ein Kuvert mit Zeichnungen erhalte, die unglückliche Menschen ohne Arme mit dem Mund oder den Füßen gemalt haben. Mit einem Schlag war da wieder dieselbe Verlegenheit, dasselbe Zittern.)
»Wie kalt ist doch diese Zelle, wie eine Höhle/worin das Wasser von allen Wänden rinnt«; oder: »Ruchloser du, der du diese Drecklöcher gebaut hast/alle in Höllenfinsternis wie die Verdammten«; und weiter: »Wie ein Hanfseil werd’ ich im Wasser weich« und so fort; es gibt also im achtzehnten Jahrhundert keinen einzigen Kerkergesang von unbekannten Autoren (ich zitiere sie hier nach dem Buch von Antonino Uccello, Carcere e mafia nei canti popolari siciliani (Kerker und Mafia in den sizilianischen Volksliedern), in dem nicht über die Feuchtigkeit geschimpft wird, in der der Häftling dahinsiechen muß. In vielen Gefängnissen, wie dem auf der Insel Favignana, in der Torre della Marina, in der Cittadella von Messina, befand sich der Großteil der Zellen und Sammelräume sogar ziemlich weit unterhalb des Meeresspiegels. Die Lebenslänglichen der Torre (ungefähr zweihundert an der Zahl) kamen im Gegensatz zu den anderen Sträflingen in den Genuß, sich im Laufe des Tages die Knochen trocknen zu dürfen, denn am frühen Morgen wurden sie aus dem Gefängnis geführt und in Mannschaften eingeteilt. Nach der Messe vor einer kleinen Kirche mit nicht sehr tiefem Kirchenschiff, aber großem Portal, durch das alle den Offizianten sehen konnten, machte sich jede Gruppe an die Arbeit (der Kirchplatz hieß sinnvollerweise »Platz der Seufzer«, woran man sieht, daß von Venedig bis Borgata Molo der Seufzer des Gefangenen gleichermaßen die Luft durchschneidet, sei er auf einem Platz ausgestoßen oder auf einer Brücke): Sie gingen zum Hafen, um Waren ein- und auszuladen, viel öfter aber mußten sie Trockenlegungsarbeiten verrichten; die anderen gingen auf die Felder, wo sie die anfallenden Arbeiten der Jahreszeit machten; die nächsten in die Steingrube, oder sie arbeiteten in der Stadt bei der Straßenreinigung und -instandhaltung. Der Großteil von ihnen, der aus Handwerkern, Schneidern, Schuhmachern, Schreinern, Schmieden, Graveuren bestand, wurde zum »Rechen« gebracht, einer riesigen Fabrikhalle, von deren Mauern in regelmäßigen Abständen große Eisenringe abstanden. Die Häftlinge wurden fest an diese Ringe gekettet, das Tor des »Rechens« ging auf, und die Leute vom Ort durften eintreten; mit Hilfe der Aufseher (die Gefangenen mußten ja das Schweigegebot einhalten) bedienten sie sich der Arbeitskraft dieser Handwerker zu absolut konkurrenzfähigen Preisen. Sämtliche Arbeiten der Zwangsarbeiter wurden wie gesagt öffentlich vergeben, und der Pächter konnte sich den Luxus leisten, die Preise niedrig zu halten und trotzdem reich zu werden.
Die Bezeichnung » rastiglio« (= Rechen) kommt von dem italienischen Wort rastrello, auf spanisch rastrillo,
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