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Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten.

Titel: Eine Sache der Ehre. Zwei wahre Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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der Erde lag das, was die Mäuse von einem Strohsack, einem Schuh und einer Art Uniformjacke übriggelassen hatten. Wunderbarerweise gab es jedoch noch rund zehn guterhaltene Schreibhefte mit den typischen Einbänden der dreißiger Jahre. Im ersten, das ich zur Hand nahm, standen Wörter wie Mama, Papa, Sohn, Rosina; im zweiten hingegen waren Striche, Vokale und Konsonanten mit unsicherer Hand gekritzelt – offensichtlich waren mir die Hefte nicht in chronologischer Reihenfolge zwischen die Finger gekommen. Im dritten Heft, das ich öffnete, hatte der Häftling richtig mit dem Schreiben begonnen. Auf der ersten Seite prangte in Druckschrift der Satz: »Das Leben ist schön.« Ich schaffte es nicht weiterzulesen, obwohl es in der Höhle keineswegs dunkler geworden war.)

    Am 9. Januar 1848 wurden die Stadtmauern Palermos mit einem Aufruf beklebt, der folgenden Wortlaut hatte: »Sizilianer! Die Zeit der Gebete ist unnütz verstrichen! Unnütz sind die Proteste, die Bittgesuche, die friedlichen Demonstrationen. Ferdinand hat alles verschmäht. Und wir, ein freies Volk, siechen in Kerkerketten und Elend dahin. Worauf warten wir noch, die uns zustehenden Rechte zu beanspruchen? Greift zu den Waffen, Söhne Siziliens! Mit vereinten Kräften sind wir unschlagbar: Die Vereinigung der Völker ist der Sturz der Könige. Der Morgen des 12. Januar
    1848 wird die gloriose Epoche der universalen Erneuerung einleiten.«
     Zweierlei war beeindruckend an diesen Worten, eins davon im höchsten Maße: Das erste ist, daß ein Aufstand nicht nur öffentlich angekündigt wird, sondern mit drei Tagen Vorsprung, ein Zeichen – wie es öfter der Fall ist – nicht so sehr der Gewissenlosigkeit oder unabwendbarer »Machtkohärenz« der Aufständischen als vielmehr der Dummheit und Taubheit der Hüter der vorläufig konstituierten Ordnung. Die zweite Sache aber verschlägt einem vor Staunen buchstäblich die Sprache: Der Aufstand bricht nämlich tatsächlich zum vorgesehen Zeitpunkt los – und das in Palermo!

    Am zwölften Januar achtundvierzig erhob sich Palermo leidgeprüft,
    steckte das Bergwerk in Brand, schlug Krach, glorreich eingefordert hat es sein Recht:

    Alt war’s, jung ist’s geworden, hob die geballte Faust
    und verpaßte dem Bourbonen einen gewalt’gen
Schlag:
Nehmt, Majestät, ich hab’s Euch ja gesagt!

    Klar und deutlich habe ich es Euch gesagt, Ihr glaubtet, es sei Prahlerei;
    der zwölfte Januar aber ist der Beweis, der Kugelhagel war bereit…

    Das Volkslied, das ich aus dem Buch von Antonino Uccello Risorgimento e società nei canti popolafi (Risorgimento und Gesellschaft in den sizilianischen Volksliedern) zitiert habe, gibt deshalb allen Anlaß zur Freude. Doch jener Aufruf, der vor allem einem einsamen Geistesblitz von Francesco Bagnasco zuzuschreiben war – die anderen Antibourbonen hatten keinen blassen Schimmer davon, weshalb es auch kein Revolutionskomitee gab, das die Aktion hätte koordinieren können –, barg die Gefahr, daß halb Sizilien unter dem lauten Gelächter König Ferdinands das Gesicht verlieren könnte. Am Morgen des zwölften Januar hatte der Kanonenknall nämlich eine gefährliche Verspätung, da in gewisser Hinsicht die Zündschnur fehlte. Padre Ragona mußte eingreifen und mit dem Kruzifix in der Hand lauthals das Volk zum Aufstand aufrufen; der Advokat Paternò mußte eine glühende Rede halten; es bedurfte der Unterstützung von Giuseppe La Masa und seiner Schar von Freiheitskämpfern mit einer ausgefallenen Flagge aus weißen und roten Taschentüchern, die mit grünen Bändern an einen Stab gebunden waren, und endlich war der Knall zu hören. Doch von jenem Augenblick an komplizierten und überstürzten sich die Dinge.

    Am fünfzehnten Januar geschahen einige bedeutende Ereignisse. Palermo befand sich mittlerweile vollständig in der Gewalt der Aufständischen, als der Oberst Gross, Schweizer Gouverneur der Festung Castellammare, den Befehl erhielt, die Stadt zu bombardieren. Gross gab verwirrt und nicht sehr überzeugt einen schwachen Schuß ab, und sogleich eilten sämtliche ausländische Konsuln zum Generalstatthalter De Majo, einem Mann, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, damit im Namen Europas endlich diesem »Schrecken ein Ende gemacht werde, der den Abscheu der gesamten zivilisierten Welt auf sich zieht«. De Majo ließ sich nicht lang bitten und befahl Gross, das Feuer einzustellen. Am Abend des besagten Tages ging nun in der Nähe von Palermo ein neapolitanisches

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