Eine Schwester zum Glück
Ratschläge in Sachen Make-up und Mode. Sie wollte, dass ich von ihrer Fachkenntnis profitierte. Doch aus irgendeinem Grund konnte ich die Informationen im Alter von zwölf Jahren einfach nicht verarbeiten. »Nimm eine Zahnbürste mit in die Schule«, sagte sie beispielsweise. »Putz dir nach dem Mittagessen den Spinat aus den Zähnen.«
»Alles klar«, sagte ich dann, vergaß es aber.
»Spiel in der kleinen Pause keine Gespenstergeschichten mit deinen Freunden nach«, riet sie. »Das lässt dich wie eine Wahnsinnige aussehen.«
Ich stimmte ihr zu. Doch dann, in der kleinen Pause, baten meine dämlichen Freunde mich um Gespenstergeschichten – und es machte zu viel Spaß, als dass ich hätte widerstehen können.
Laut Mackie brauchte ich unbedingt Jeans mit Schlag und Clogs, aber wenn uns unsere Mom im Einkaufszentrum absetzte, vergaß ich, mir welche zu kaufen, und verbrachte stattdessen die ganze Zeit damit, Eis zu essen und den Schlittschuhläufern zuzusehen.
Mackie war damals schon dreizehn und hatte keine Zahnspange mehr. Sie wickelte sich die Haare jeden Morgen auf Heizwickler und band sie mit einem rosafarbenen Band nach hinten. Sie war nicht die Königin der Siebtklässler oder etwas in der Richtung, aber es ging ihr gut. Eines Abends nahm sie meine Mom nach dem Abendessen beiseite und sagte: »Du musst sie mit ins Einkaufszentrum nehmen und sie zwingen, ein paar hübsche Klamotten zu kaufen.« Das war gleich zu Beginn der Sommerferien. Mackie hatte es sich in den Kopf gesetzt, diese Zeit zu nutzen und mich in weniger als drei Monaten von der hässlichen Raupe in einen Schmetterling zu verwandeln.
Meine Mom war mit von der Partie. Es ging ihr nicht gut, und die Woche darauf sollte sie die Gallenblase entfernt bekommen. Doch sie fuhr uns beide am Samstag ins Einkaufszentrum und lenkte mich zu den Läden, die Mackie aufgeschrieben hatte, während diese sich mit ihren Freundinnen bei McDonald’s traf. Wir kauften drei Paar Jeans und zwei Sweatshirts von GAP. Wir kauften neue Sandalen und meinen ersten BH . Später, an einem Stand neben der italienischen Eisdiele, ließ ich mir sogar Ohrlöcher stechen.
Am Abend stolzierte ich in meinen neuen Klamotten herum und veranstaltete Modeschauen für meine Mom und meinen Dad, die netterweise ihre Bücher beiseite legten und jedes Mal klatschten, wenn ich das Zimmer betrat. In zweieinhalb Monaten würde ich auf eine Party zum Schuljahresanfang gehen, und mir wurde schwindlig bei der Vorstellung, wie ich dort völlig verwandelt auf kreuzen würde. Ich malte mir aus, wie sich bei meinem Ein treten alle nach mir umdrehen und Kinder flüstern würden: »Wer ist das?« »Sarah Harper!« »Was ist denn mit der passiert?« »Sie ist wunderhübsch geworden!« Die Jungs würden sich um mich scharen, und ich würde meinen alten Freunden kurz zuwinken – die weit weg in der Ecke Gespenstergeschichten aufführten, als gäbe es nichts anderes im Leben.
Die Gallenblasenoperation meiner Mom verlief völlig anders als erwartet. Als die Chirurgen sie am Mittwoch aufschnitten, stießen sie auf Eierstockkrebs, der ihren ganzen Unterleib befallen hatte. Ich erinnere mich, wie mein Dad es jemandem am Telefon beschrieb. Er zitierte den Arzt und sagte, ihr Inneres habe vor Krebs »genässt«. Sie drainierten einen Teil der Flüssigkeit, entfernten, was sie konnten, und nähten sie wieder zu. Doch im Laufe der Operation perforierten sie etwas in ihrem Körper – auf diese Weise lernte ich das Wort perforieren –, und dann kam es zu einer Infektion, die niemand mehr heilen konnte.
Zwei Tage später wurde sie auf die Intensivstation verlegt und kehrte nicht mehr aus dem Krankenhaus zurück. Wir besuchten sie jeden Nachmittag. Ich bastelte ihr ein Armband im Kunst-Feriencamp. Ich brachte ihr eine Kassette mit Liedern von den Supremes und einen Zeitungsbericht über die heilende Wirkung von Musik. An einem Tag lag ich bei ihr im Bett, und sie strich mir über die Haare. In vielerlei Hinsicht wirkte sie auf mich, als ginge es ihr gut, und ich erinnere mich noch, wie ich ständig von der Pyjama-Party redete, die ich an meinem nächsten Geburtstag veranstalten wollte. Sie fand all meine Pläne gut – selbst die Idee, draußen im Garten hinter dem Haus auf dem Trampolin zu schlafen. Doch sie starb, noch bevor der Sommer zu Ende war.
Viele Wochen später, als es Zeit für die Party zum Schuljahresbeginn war, steckten jene Klamotten immer noch in ihren Einkaufstüten unter meinem Bett. Ich
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