Eine Schwester zum Glück
wie kleine Kinder an den Weihnachtsmann glau ben. Sie war real und irgendwo da draußen. Sie fertigte just in diesem Moment Spielzeug für mich an. Und in einer ganz besonderen Nacht in nicht allzu ferner Zukunft würde sie ihren Schlitten beladen und sich trotz ihrer Leibesfülle meinen Schornstein hinunterquetschen, um mir am nächsten Morgen unvorstellbare Freuden zu bescheren. Das war die Liebe für mich. Rot, mit Pelzbesatz und drei Steaks von einem vierfachen Bypass entfernt. Und außerdem etwas, was ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
Vor ein paar Jahren am Telefon, nachdem ich einen Norweger namens Oskar verlassen hatte, weil er halb im Ernst über das Heiraten gescherzt hatte, hatte Mackie eine Erkenntnis über unser jeweiliges Liebesleben, die so wahr war, dass ich auflegte. Und als sie zurückrief, ging ich nicht an den Apparat. Und ich nahm eine Woche lang nicht den Hörer ab, wenn sie anrief. Sie hatte Folgendes gesagt: Wir gingen beide wie unser Dad an die Liebe heran. Bloß dass sie wie Dad vor dem Tod unserer Mutter war, und ich wie er danach.
Seitdem hatte sie sich hundert Mal für ihre Worte entschuldigt. Doch das machte sie nicht weniger wahr. Es war etwas, das wir beide im Laufe der Zeit akzeptiert hatten. Mackie hatte Glück in der Liebe, und ich war wie unser Vater, der samstagabends allein zu Hause war und sich in der gelben Rüschenschürze unserer Mutter Ramen-Nudeln kochte.
Eine Schürze, die demnächst in der Kleiderspende enden würde. Denn am nächsten Tag brachte unser Dad eine Frau mit zur Thanksgiving-Feier und verkündete, dass es sich um seine Verlobte handelte.
Er hatte uns erzählt, dass es Neuigkeiten gäbe. Doch er hatte nicht erwähnt, dass es sich bei seinen Neuigkeiten um eine Verlobte handelte. Und er hatte uns auch nicht vorgewarnt, dass seine Neuigkeiten in einem mit Strasssteinen übersäten Sweatshirt aufkreuzen oder ein Paar baumelnde Truthahnohrringe tragen würden, die kollerten, wenn man hinten auf einen Knopf drückte. Oder dass seine Verlobte eine, wie Mackie es später formulierte, »texa nische Hinterwäldlerin« sei.
»Das sind deine Neuigkeiten?«, fragte Mackie, als die beiden hereinkamen.
»Das sind meine Neuigkeiten«, sagte mein Dad.
»Glitzernder, als ich erwartet hatte«, murmelte Mackie in ihre Serviette.
»Das ist Dixie«, erklärte uns Dad, bevor wir uns setzten. »Und wir werden heiraten.«
Wir sahen uns ungläubig an, und ich fand, unser Vater wirkte genauso überrascht wie alle anderen. Dann sagten Clive und ich einstimmig: »Hi, Dixie.«
Und Mackie sagte: »Das soll wohl ein Scherz sein.«
Wir hatten natürlich auch Neuigkeiten für ihn. Doch unsere würden erst einmal warten müssen.
Es war Familientradition, das Thanksgiving-Essen in einem chinesischen Restaurant namens Fu’s Garden zu veranstalten. Das hatten wir im ersten Jahr nach dem Tod mei ner Mutter gemacht, und jetzt weigerten wir uns zuzu geben, dass es vielleicht schöner wäre, die Dinge anders zu handhaben. Es war prima. Uns allen ging es prima. Wir vermissten den Truthahn oder die Füllung überhaupt nicht.
Nach dem Tod unserer Mutter hatte unser Dad sein Bestes für uns getan. Er wechselte sich mit andern Eltern in einer Fahrgemeinschaft ab, die Kinder in die Schule zu bringen, und legte seinen Arbeitstag so, dass er zu Hause war, wenn wir es waren. Die Universität, an der er Geschichte dozierte, befand sich ganz in der Nähe von unserem Haus, und er fuhr mit dem Fahrrad in die Arbeit – aber an den Fahrgemeinschaftstagen kam er nach Hause, um das Auto unserer Mutter zu holen.
Natürlich wusste er nicht, was er mit uns anfangen sollte. Zuvor hatte er von uns hauptsächlich etwas durch unsere Mom mitbekommen, besonders, seitdem wir zu alt für den Zoo waren. Er hatte es im Grunde nicht so mit anderen Leuten, und ohne unsere Mom war er völlig verloren. Ohne sie stapelten sich die Bücher in seinem Büro und im Elternschlafzimmer hüfthoch. Er hielt keinen Kontakt zu ihren gemeinsamen Freunden und verbrachte immer mehr Zeit damit, zu lesen und auf Notizblöcken herumzukritzeln. Er arbeitete fortan ständig »an einem Buch«, auch wenn er nie wirklich eines schrieb. Es war ein Riesenglück, dass er schon vor ihrem Tod eine Professur auf Lebenszeit bekommen hatte. Danach hätte er das nie geschafft.
Doch auf seine Art kümmerte er sich um uns. Er war jeden Nachmittag zu Hause, arbeitete am Esstisch und lauschte den gedämpften Klängen der Stereoanlagen in unseren
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