Eine Schwester zum Glück
Cleveland ergab keinen Sinn. Vom Akzent bis hin zu den künstlichen Fingernägeln war sie definitiv Texanerin.
Ich hakte nach: »Aus Cleveland, Ohio?«
Sie brach in Gelächter aus. »O nein, Süße!« Sie legte ihre Hand auf meine und sah mich stirnrunzelnd an, als wüsste sie noch nicht einmal, dass es ein Cleveland in Ohio gab. »Aus Cleveland, Texas.«
»Alles klar«, sagte ich, und wir waren alle erleichtert, als die Kellnerin mit den Getränken kam.
Als Nächstes versuchte Clive sein Glück. »Wie habt ihr beide euch kennengelernt?«, wandte er sich an Dixie.
Sie lächelte. »Nach JoBeths Herzinfarkt habe ich ihre Stelle in der Geschichtsfakultät übernommen.«
»Sie kann sechsundneunzig Wörter in der Minute tippen«, fügte mein Dad hinzu.
Clive stieß ein beeindrucktes Pfeifen aus.
Mein Dad fuhr fort: »Und sie gibt Selbstverteidigungskurse in der YMCA .«
Wir ließen das auf uns wirken.
Mein Dad beugte sich weiter vor. »Lasst euch nicht von diesem süßen Lächeln in die Irre führen«, sagte er. »Sie könnte jeden einzelnen Anwesenden hier außer Gefecht setzen.«
Dixie senkte lächelnd den Blick. Doch sie widersprach nicht.
Kurzzeitig sah es so aus, als könnte das Gespräch fried lich in eine Diskussion über Selbstverteidigungstaktiken übergehen. Doch dann zeigte mir ein Blick in Mackies Richtung den Anflug eine Schmollmunds, den nur jemand bemerkte, der sie schon von Kindesbeinen an kannte.
In dem Moment wusste ich: Mackie würde protestieren, es würde unschön werden, und niemand konnte das Geringste dagegen tun. Ich wartete darauf, wie man auf den Schmerz wartet, nachdem man sich den Zeh angehauen hat. Mackie würde etwas derart Gemeines über Dixies Fingernägel, ihren Ausschnitt oder ihr leichtes Doppelkinn sagen, dass Dixie keine andere Wahl blieb, als aufzustehen und den Tisch zu verlassen.
Dixie war eindeutig die Schutzbedürftige hier, mit ihren hochhackigen Stiefeln und ihrem Strassarmband. Offensichtlich war die einzig nette Art, auf ihr Erscheinen zu reagieren, sie so überzeugend willkommen zu heißen, dass wir selbst daran glaubten. Doch ich wusste, was Mackie dachte: Sie ließ sich keine Ungerechtigkeit gefallen. Und ihr als derjenigen, die sich immer bemüht hatte, uns so eng zusammenzuhalten, dass wir uns noch als Familie bezeichnen konnten, musste es unzumutbar falsch vorkommen, dass mein Dad sich schließlich für eine Frau entschied, die nicht das Geringste mit irgendeinem von uns zu tun hatte.
Vielleicht dachte sie, unser Dad sei uns schon genug verloren gegangen und Dixie würde ihn nur noch weiter von uns fortziehen. Doch ich versichere Ihnen, dass Mackie selbst in ihren gemeinsten Momenten einen Teil ihres Herzens am rechten Fleck hat. Sie hatte einfach das Bedürfnis, unsere kleine Familieneinheit vor etwas zu beschützen, was mit Veränderung zu tun hatte und damit, dass Wandel, auf seine Weise, immer zu Verlust führt.
Doch Clive beschloss, die Situation zu retten und kam Mackie zuvor. Ich dachte, ich sei die Einzige, die wusste, was uns bevorstand, doch er spürte es offensichtlich ebenfalls, denn er drehte sich zu Mackie, bevor sie einen Ton sagen konnte, und küsste sie – ein langer, verweilender Kuss, nicht nur unter Einsatz der Lippen und wahrscheinlich sogar der Zunge, sondern auch von seinen bei den Armen und einem Teil seines Oberkörpers. Dixie und mein Dad und ich senkten die Blicke. Mackie schlug protestierend auf Clive ein, aber sie erwiderte seinen Kuss trotzdem. Als die beiden endlich Luft holten, lachte sie, und er drehte sich uns zu, hob sein Glas und sagte: »Ist die Liebe nicht großartig?«
Als Nächstes griffen wir alle nach unseren Gläsern und stießen auf die Liebe an.
Dixie stupste mich hinterher an und flüsterte mir zu: »Der ist Gold wert.«
Und just, als sie es sagte, traf mich eine Erkenntnis: Clive war definitiv Gold wert. Und sah obendrein nach einem guten Küsser aus.
Es war verblüffend, wie wenig es bedurfte, um Mackie völlig umzukrempeln – obwohl ein unerwarteter Kuss in einem chinesischen Restaurant diese Wirkung vielleicht bei jedem erzielen würde. Sie zog ihren Lippenstift nach, während wir alle in vorsichtigem Schweigen abwarteten, ob wir nun in Sicherheit waren. Es sah ganz so aus.
Die Speisen trafen ein: Rindfleisch mit Brokkoli, Moo-shu-Hühnchen, gebratene Nudeln. Die ganzen Leibspeisen meines Dads. Da sagte Mackie: »Dad, wir haben auch Neuigkeiten.«
Während mein Dad ein höfliches »Oh?«
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