Eine Schwester zum Glück
Krebs!«, sagte ich später zu Mackie. »Wer verwendet denn überhaupt noch Babyöl? Neh men sie beim Medizinstudium nicht auch Hautkrebs durch?«
»Sie ist jung«, erwiderte Mackie mit einem Achselzucken. »Sie hat zwei Klassen oder so übersprungen.«
»Ich mag sie nicht. Das weiß ich jetzt schon.«
Mackie hasste nie jemanden. »Vielleicht wächst deine Zuneigung mit der Zeit.«
»Wie ein Melanom«, fügte ich hinzu, aber Mackie fand das nicht lustig.
Je länger ich Barni kannte, desto mehr ärgerte ich mich darüber, dass sie meine Wohnung hatte. Sie stellte sich als eine dieser Frauen mit extrem ausgeprägtem Konkurrenzdenken heraus, die wollen, dass jeder Mann auf der ganzen Welt besessen von ihnen ist. Und die zu allen möglichen Anstrengungen bereit sind, um jede andere Frau auf der Welt in den Schatten zu stellen. Sie joggte jeden Tag sechs Meilen, aß reichlich grünes Blattgemüse, benutzte morgens und abends Zahnseide, war eine Einserschülerin in der Schule – kaufte aber auch die frechste Reizwäsche von Victoria’s Secret, zog jedes Wochenende durch die Bars, fluchte laut vor dem Fernseher, wenn Sport lief, und rauchte ab und zu sogar eine Zigarre. Schlank, sexy, leistungsstark, ordinär und häufig halb nackt, war sie eine Mischung aus all den Dingen, von denen Frauen glauben – oder fürchten –, dass Männer sie wollen, und schon beim Gedanken an sie verfiel ich in einen Zustand totaler Erschöpfung.
Außerdem war sie ein Biest. Dieses Wort würde ich niemals leichtfertig benutzen. Man nehme beispielsweise das eine Mal, als ihre Waschmaschine kaputt war und sie unsere Waschküche mitbenutzte. Sie stieß auf eine völlig normale weiße Baumwollunterhose von mir, hob sie mit einem Drahtbügel auf, kam damit in die Küche, wo wir alle beim Frühstück saßen, und sagte: »Wessen Großmutter hat denn die im Trockner liegen lassen?«
Doch sie hatte Hausbesetzerrechte bezüglich der Garagenwohnung, weil Mackie schließlich die Hoffnung aufgegeben hatte, dass ich je zurückkommen würde. Also nahm ich das Kinderzimmer und das angrenzende Bad und packte vorsichtig die mit Enten bedruckten Handtücher, die Seife und den Zahnbürstenhalter weg, die Mackie bereits am Waschbecken platziert hatte. Ich ersetzte das geschlechtsneutrale grüne Gingham-Bettzeug mit einem weißen Set und zog das Kinder-Nachtlicht aus der Steckdose. Mackie versiegelte die Babysachen in Schachteln und packte sie in ihren riesigen Einbauschrank – alphabetisch geordnet. Mithilfe eines Etikettiergeräts. Und farblich gekennzeichneten Etiketten.
»Diese Schwangerschaft wird lustig«, sagte ich zu Mackie.
»Da kannst du Gift drauf nehmen«, sagte Mackie.
Houston war ganz anders, als ich es in Erinnerung hatte. Seine Heimatstadt in den Ferien zu besuchen ist etwas ganz anderes, als richtig zurückzuziehen. Alles hatte sich verändert. Lebensmittelgeschäfte, Einkaufszentren und Kinos, die ich in meiner Jugend besucht hatte, waren verschwunden oder nicht mehr wiederzuerkennen. Häuser, in denen ich in meiner Kindheit ständig gespielt hatte, gab es nicht mehr. Ganze Straßenzüge hatten ihre ursprüng lichen Häuser eines nach dem anderen eingebüßt und wa ren zu ganz neuen Orten geworden. Diese Veränderungen waren mir im Laufe der Jahre auch ab und zu aufgefallen. Doch als ich nun wieder richtig hier war, wurde mir das ganze Ausmaß bewusst. Es war genau die gleiche Stadt, bloß völlig anders, sodass ich ständig nach Dingen suchte, die es längst nicht mehr gab.
»So ist das eben in Houston«, sagten Mackie und Clive eines Abends zu diesem Thema. »So läuft hier eben der Hase.«
Sie wollten nicht, dass ich mich an Houston störte. Meine Schwangerschaft malten sie sich als langen Aufenthalt in einem familienbetriebenen Wellnesshotel aus. Sie würden jeden Tag für mich kochen, mich verwöhnen und mich mit Dankbarkeit überschütten. Mackie hatte jedes Buch zu dem Thema gelesen, wie man das Beste aus die sen neun Monaten machte, und sie glaubte fest daran, dass eine glückliche Mutter die Voraussetzung für einen glücklichen Fötus war. Ich hatte nichts dagegen. Sie würden Brahms über ihre im ganzen Haus installierte Lautsprecheranlage spielen, um die Intelligenz des Babys zu fördern – außerdem Billie Holiday für die Klugheit, Al Green für die Leidenschaft und James Brown für die Supercool ness. Mackie würde jeden Abend ein Festmahl kochen und immer ballaststoffreiche Bio-Nahrungsmittel im Haus haben, die
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