Eine Schwester zum Glück
völlig außen vor ließen – auch wenn er vielleicht bei ein paar Dingen gern involviert gewesen wäre. Sein Beitrag war, mal ganz offen gesagt, in etwa so groß wie eine Petrischale.
Das Projekt nahm uns derart in Anspruch, dass wir uns wünschten, nichts sonst auf der Welt zu tun zu haben. Doch die Welt hielt das eine oder andere für uns bereit. Denn am selben Tag, an dem Dr. Penthouse mehrere manuell befruchtete Zygoten in meine rundliche und erwartungsvolle Gebärmutter implantierte, stieß Dixie, die anscheinend bis über beide Ohren in ihrem Renovierungs projekt im Haus unseres Vaters steckte, auf die Kommode unserer Mutter. Sie entdeckte, dass diese noch randvoll mit deren Zeug war.
Und mit »Zeug« meine ich T-Shirts, Jeans, Slips, Strümpfe, BH s, Haarbürsten, Schmuck, Briefe, Zeitschriften, Kassenzettel, Kugelschreiber, Handcreme. Alles. Siebzehn Jahre nach ihrem Tod war immer noch alles am selben Ort. Alles war noch genau so, wie meine Mutter es eigenhändig gefaltet hatte – jene letzte Wäscheladung, bevor sie ins Krankenhaus kam. Alles war in Schubladen gestapelt und völlig unberührt. Jedes Fach sah genau so aus, wie sie es zurückgelassen hatte. Nur in der obersten Schublade herrschte totale Unordnung – und die öffnete Dixie als Erstes.
Irgendwann im Laufe jenes langen Jahres, nachdem unsere Mutter gestorben war, gab es einen Abend, an dem unser sanftmütiger Dad – der sonst seinen Kummer in sich hineinfraß, als wäre es eine Delikatesse – komplett ausrastete.
Mackie und ich machten gerade in der Küche Müsli und Hotdogs zum Abendessen und hörten ein Krachen in seinem Schlafzimmer, seine polternden Schritte die Treppe hinunter, das Rasseln von Schlüsseln, und dann das Zuknallen einer Tür. Nach einer angemessenen Warte zeit schlichen wir auf Zehenspitzen die Treppe hinauf und sahen, dass er jeden einzelnen Gegenstand von der Frisier kommode unserer Mutter gefegt hatte. Auf dem Boden verstreut lagen Schminkutensilien, Schmuck, Par fumflakons und Scherben der Art-déco-Vase, die unserer Großmutter gehört hatte. Selbst die Dinge, die nicht zerbrochen waren, sahen auf dem Teppich zerbrochen aus: Handcreme, Puder, eine Schmuckschatulle, ein Diadem aus Pappmaschee, das ich in der zweiten Klasse gebastelt hatte.
Mackie bestritt felsenfest, dass sie weinte, während wir jede noch so kleine Scherbe vom Boden aufhoben. Selbst die Glasscherben kamen in verschließbare Plastikbeutel. Alles, was größer als ein Kieselstein war, wurde aufgehoben. Es war töricht, das wussten wir. Aber diese Glasscherben gehörten unserer Mom. Sie waren von ihren Händen gehalten worden. Sie waren voll von ihren Fingerabdrücken.
Mackie und ich beeilten uns, denn wir waren beide noch nicht bereit, mit den Dingen unserer Mutter umzugehen. Ich erinnere mich noch an den verrückten Gedanken, der mir durch den Kopf schoss: Wenn meine Mutter zurückkäme, würden wir wahrscheinlich alle mehrere Abende am Küchentisch verbringen, die Scherben wieder zusammenkleben und sie geduldig sortieren, als wäre es ein Puzzle. Die zerbrochene Vase würde sie ärgern, aber sie würde es verstehen.
Im Anschluss wurde die oberste Schublade ihrer Frisierkommode zum Aufbewahrungsort für alles von meiner Mutter, was wir irgendwo im Haus fanden. Der Schal auf dem Kleiderständer, die Puderdose im Badezimmer. »Leg es in die Schublade«, sagte mein Dad jedes Mal, ohne auch nur hinzusehen.
Als wir älter wurden, plünderten wir die Schublade ab und zu und nahmen uns schicke Haarspangen und Ohrringe – von denen wir letztlich die meisten trotz all unserer guten Vorsätze verloren. Mackie beharrte darauf, dass mein Dad irgendwann auch den Ehering unserer Mom dort hineingeschmissen hatte, doch ich war in dem Zimmer im Krankenhaus gewesen, als er ihren Finger anhob, um den Ring abzuziehen. Ich hatte gesehen, wie er bei der Hälfte am Knöchel innegehalten und das Gesicht an ihren Handrücken gedrückt hatte, und ich war sicher, dass er einen besseren Ort dafür gefunden hatte.
Mackie bat vor ihrer Hochzeit unseren Dad um den Ehering unserer Mom, aber unser Vater sagte ihr, er könne ihn nicht finden. »Keine Sorge, mein Schatz«, hatte er gemeint. »Er ist irgendwo im Haus.« Und dann, als wäre das etwas Gutes: »Ich schmeiße nie etwas weg.«
Ich kann mir nicht vorstellen, wie es für Dixie gewesen sein muss, auf diese Schublade voll von den Sachen meiner Mutter zu stoßen. Sie hatte das Haus natürlich schon vor her gesehen und
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