Eine Schwester zum Glück
unrecht hatten.
Vielleicht nahm ich es meinem Dad immer noch übel – selbst jetzt noch, auch wenn ich wusste, wie irrational ich mich verhielt –, dass er nicht meine Mutter war.
Doch ich wusste sehr wohl, dass er es versucht hatte. Er verließ uns nicht, und selbst jetzt, wenn er wieder heiratete, war er immer noch da. Er gab noch nicht einmal unser altes Haus auf. Dixie würde – wie sie mir über Glückskeksen erzählten – bei ihm einziehen.
Ich wand mich vor ihr. »Hast du das Haus gesehen, Dixie?«
Mein Dad lebte zwar in dem Haus, aber er vergaß, seine Zeitungen ins Altpapier zu tun, und ließ stattdessen auf dem Teppich einen dünnen Pfad durch die Wohnung frei. Auf dem Esstisch stapelten sich Aufsätze seiner Studenten,wissenschaftliche Zeitschriften und Postwurfsendungen. Das Sofa hing in der Mitte durch. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendein normaler Mensch dort leben wollen würde. Selbst ich hatte mich in den letzen Jahren geweigert, dort zu wohnen, wenn ich über die Feier tage nach Hause kam. Mein Kinderzimmer wartete immer noch auf mich, mit seinen R.E.M. -Postern, obwohl ich kein einziges Mal mehr darin geschlafen hatte, seit Clive und Mackie sich ihr eigenes Haus gebaut hatten.
Allerdings stellte sich heraus, dass Dixie nicht vorhatte, in dem Haus zu leben, so wie es war. Sie war lukrativ geschieden, renovierte für ihr Leben gern und hatte vor, jedes Zimmer außer unseren alten Kinderzimmern und dem Arbeitszimmer meines Vaters von Grund auf zu verändern. Sie zeichnete ihre Pläne für mich auf eine Serviette und sprach von Wandfarben wie Limette, Hibiskus und Daiquiri .
Bei Tisch machte mich die Vorstellung, dass sie das Innere meines Elternhauses verändern würde, nervös. Aber im Bett mit meiner heiteren Musik im Ohr versuchte ich, mir selbst gut zuzureden. Es war schließlich nicht mehr das Zuhause, in dem ich aufgewachsen war. Mein Dad hatte es bereits selbst verändert, und zwar durch Vernachlässigung. Dass eine Frau in dem Haus wohnen würde, tat ihm bestimmt gut. Vielleicht waren ein Pavillon und ein Whirlpool im Garten sowie eine napoleoneske Küche genau das Richtige. Gegen einen frischen Anstrich konnte ich kaum etwas einzuwenden haben – selbst Sorbet oder Purpurner Zauber waren besser als die Düsterkeit, die jetzt dort herrschte. Wenn die Strasskönigin das Geld ihres ersten Ehemannes dazu verwenden wollte, das Haus meines Dads zu verjüngen, konnte ich mich nicht beschweren. Oder wenigstens würde ich es nicht tun.
Aber ich würde wach liegen und darüber nachdenken. All die Jahre hatten wir mit der Abwesenheit meiner Mutter gelebt. Jene Zeitungsstapel wären mit einer Schnur gebündelt und raus an den Bordstein gebracht worden, wenn sie noch am Leben wäre. Die Wäsche wäre gefaltet und die Vorhänge aufgezogen. Seit meine Mutter gestorben war, rasierte mein Dad sich nicht mehr. Mit meiner Mutter war er glatt rasiert gewesen. Ohne sie war ein grauhaariger alter Mann aus ihm geworden, der vergaß, sich die Haare schneiden oder die Brauen stutzen zu lassen. Ich hatte das Gesicht meines Dads nicht mehr bartlos gesehen, seitdem ich dreizehn war. Es war, als wäre ein anderer Mensch aus ihm geworden und als hoffte er, wenn er sich lange genug weigerte, sich um sich zu kümmern, müsste meine Mom zu neuem Leben erwachen und es an seiner Stelle tun.
Als ich so dalag, erkannte ich: Mein Vater hatte es ver dient, wieder zu heiraten. Er verdiente jemanden, mit dem er gemeinsam essen, abendliche Spaziergänge machen und ins Kino gehen konnte. Er verdiente einen Menschen, der sich um ihn kümmerte, wenn er krank war, und ihm Brathähnchen kochte. Ich wünschte ihm all das und dass es einen Menschen in seinem Leben gab, der von jeder Kleinigkeit wusste, die er im Laufe des Tages tat. Ich wollte nicht, dass er allein war.
Und wenn es keine zwei unterschiedlicher aussehenden Menschen auf der Welt gab – Dixie in ihren Pailletten und meinen Dad in seinen altmodischen braunen Hosen? Wenn sie nichts hätten, worüber sie sich unterhalten könnten? Und wenn Dixie Stickereien von Wildpferden auf ihrer Handtasche hatte? Wenn meine Vorstellung von Liebe der Weihnachtsmann war, warum konnte es bei meinem Dad dann nicht Dolly Parton sein? Wer war ich denn, Kritik zu üben? Ich hatte doch selbst nicht die leiseste Ahnung.
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U nd dann war ich plötzlich schwanger. So wie zwei Monate eben plötzlich sein können. Das Schwangerwerden war verblüffend einfach, auch wenn sich das
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