Eine Schwester zum Glück
Steppenläufer, aber so ist Houston gar nicht. Es befindet sich in der Nähe des Golfs von Mexiko, die Luft ist meist feucht und drückend, heiß und schwül wie in einer Sauna. In einem Sommer regnete es fünfundsiebzig Tage hintereinander. Es gibt so viel Regen in Houston und so viel tiefen, widerhallenden Donner, dass wir Wasser und Überschwemmungen, sogar die Hurrikansaison, als gegeben hinnehmen. Mit ein paar denkwürdigen – und Furcht einflößenden – Ausnahmen sind Hurrikans in Houston kein großes Thema.
Doch in der Woche nach der Hochzeit machte ein sensationeller Hurrikan namens Imelda Schlagzeilen. Mackie beschimpfte die Nachrichtensprecher als Panikmacher, und sie, Clive und ich diskutierten eine Zeit lang darüber, was schlimmer war – das Wetter selbst oder aber die Berichterstattung in den Nachrichten.
Viele Einwohner Houstons brachten sich in Sicherheit, doch wir blieben. Nach den meisten Vorhersagen sollte Imelda näher bei New Orleans an Land auftreffen.
»Armes New Orleans«, sagte Mackie jedes Mal, wenn wir die Nachrichten einschalteten. »Die kommen einfach nicht zur Ruhe.«
Es schien uns nicht wahrscheinlich, dass der Hurrikan Houston erreichen würde. Außerdem war ich zum Fliegen zu schwanger und wollte ganz gewiss nicht den ganzen Weg bis nach Austin oder Dallas in einem Auto hocken. Die Vorstellung wegzugehen wirkte viel zu melodramatisch. Wir hatten zu lange in dieser Stadt gelebt, um uns über ein bisschen Wind und Regen aufzuregen. Sogar Clive entschied, an seiner Geschäftsreise nach Atlanta festzuhalten. Wir beschlossen, uns keine Sorgen zu machen.
Doch als der große Tag immer näher rückte, sah Houston doch immer mehr wie das Ziel des Hurrikans aus. Einen Tag vor dem Auftreffen – auf den Freeways stadtauswärts staute sich der Verkehr – waren Mackie und ich allein im Haus, hatten die Fernsehnachrichten eingeschaltet und fragten uns allmählich, ob wir vielleicht doch ums Leben kommen würden.
Doch jetzt war es zu spät. Nervös beschlossen wir, das Ganze lustig zu gestalten. Mackie machte Popcorn und alkoholfreie Margaritas. Wir entschieden, in ihrem großen begehbaren Wandschrank zu schlafen, und redeten davon, auch den Fernseher hineinzuverfrachten – um wich tige aktuelle Wettermeldungen mitzubekommen, aber auch, um uns auf ihrem Festplattenrecorder die Master piece Theatres anzusehen. Die Panik und Aufregung um die Wetterkrise vertrieb die Wolken unseres eigenen privaten Gewittersturms und machte es uns beiden leicht, uns wie früher zu vertragen. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit genoss ich Mackies Gesellschaft wieder – und vermisste sie gleichzeitig, auch wenn sie an meiner Seite war, weil mir so deutlich ins Gedächtnis gerufen wurde, wie schön die Dinge waren, wenn alles gut zwischen uns lief.
Wir hatten unsere Drinks zur Hälfte ausgetrunken, und es regnete noch nicht einmal, da sagte Mackie: »Es tut mir leid, dass es einen Hurrikan braucht, damit du einmal zu Hause bleibst.«
»Ein dreifaches Hoch auf den Hurrikan«, erwiderte ich, und wir stießen darauf an.
Dann hörten wir einen Schlüssel in der Hintertür, und da stand, in einem Poncho, mit einer Taschenlampe, einem Badeanzug, einer Decke, einem Erste-Hilfe-Koffer und in ihrem Ärztekittel: Barni.
Da ich ständig unterwegs gewesen war, sah ich sie seit Wochen zum ersten Mal, und als ich ihr Gepäck erblickte und mir klar wurde, dass sie uneingeladen zu unserer Schwesternparty kam, entfuhr mir: »Wieso hast du dich denn nicht wie alle anderen evakuieren lassen?«
Sie tat so, als würde sie darüber nachdenken. »Ich weiß nicht. Ich glaube, ich habe im Krankenhaus Leben ge rettet.«
Ich nickte. »Notfall-Fettabsaugung?«
Sie setzte ein falsches Lächeln auf. »O mein Gott. Das ist ja so witzig!«
Ich wollte nicht, dass sie alles verdarb. »Kannst du nicht woandershin?«
Doch Barni war, wie sie es selbst ausdrückte, am Ausflippen . Sie kam herein. »Habt ihr denn keine Nachrichten geguckt?«, fragte sie. »Die ganze Stadt wird dem Erdboden gleichgemacht!«
»Wird sie nicht«, meinte Mackie bestimmt.
Doch Barni hörte gar nicht hin. »Ich bin zu jung zum Sterben!« Sie hielt immer noch ihre Sachen umklammert. »Ich bin noch nicht einmal in Europa gewesen!«
»Niemand wird sterben.« Mackie modulierte ihre Stimme zu einer perfekten Mischung aus Sanftheit und Nachdruck – und klang, wie mir auffiel, genau wie unsere Mutter. »Uns wird nichts passieren.«
Ich erhob mich vom Sofa, um
Weitere Kostenlose Bücher