Eine skandalöse Braut
durch die er soeben mit seiner Geliebten im Innern verschwunden war. Sie erstarrte am Fuß der Treppe mitten in der Bewegung. Sein plötzliches Auftauchen beunruhigte sie, aber sie hoffte, er würde sie nicht sehen, wenn sie sich nicht bewegte. In diesem Moment zogen sich die launischen Wolken vom Mond zurück, und er bemerkte, dass sie dort stand. Sein Blick richtete sich auf sie, und er blieb stehen. Seine schlanke, elegante Silhouette wurde von dem wechselhaften Licht beschienen.
Nach einem kurzen Schweigen meinte er nur: »Hierher seid Ihr also heute Abend verschwunden, Mylady.«
Sie kämpfte um ihre Selbstbeherrschung angesichts der Tatsache, dass er sie entdeckt hatte. Er musste ja zwangsläufig denken, dass sie ihn bei seinem Gespräch belauscht hatte.
Was sie tatsächlich getan hatte.
Ausgerechnet über sie hatten die beiden geredet. Wenn sie seine Bemerkung richtig deutete, hatte er sie beobachtet und bemerkt, dass sie sich aus dem Ballsaal davongestohlen
hatte.
»Eine eher feuchte Angelegenheit, das steht mal fest. Aber um einiges angenehmer als im Gebäude. Gibt es etwas Schlimmeres als einen warmen Abend, an dem ein Gewitter aufzieht? Man kann die Luft förmlich sehen, so feucht ist sie.« Ganz bewusst hielt sie ihren Tonfall neutral und bewegte sich nicht. Sie blieb wie festgewachsen auf dem gepflasterten Weg neben der Treppe stehen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.
Zum zweiten Mal wurde sie von diesem Mann, den sie nicht einmal kannte, in große Verlegenheit gebracht.
Sie hatte ihn tatsächlich belauscht, was sie eigentlich gar nicht wollte. Sie hatte das ganze Gespräch mit angehört und sich dabei hinter einem knorrigen Baum herumgedrückt. Wie ein Hausmädchen, das sich hinter das Sofa duckte, um ein paar Häppchen vom neuesten Klatsch aufzuschnappen. Schlimmer noch: Sie hatte beobachtet, wie Lady Fontaine ihn an einer höchst unschicklichen Stelle berührt hatte.
»Meine Instinkte scheinen mich zu verlassen.« Obwohl er sich gemächlich bewegte, erinnerten seine Bewegungen sie an die eines Panthers, der sich an seine Beute anschleicht. Er steuerte die Steinstufen an. »Früher in Spanien konnte ich den Feind leicht entdecken, egal wie gut er sich verbarg. Meine Männer behaupteten gerne, ich könne die Franzosen riechen.« Er kam die breiten Stufen herab, die vom Regen nass glänzten. »Euer Parfüm«, fügte er leise hinzu, »riecht sehr lecker. Sagt mir, warum zieht Ihr einen regennassen Garten den bewundernden Blicken Eurer zahllosen Verehrer vor, Lady Amelia?«
Er verstieß mit dieser direkten Anrede gegen die Etikette, da sie einander noch nicht offiziell vorgestellt worden waren. Andererseits war diese Überschreitung kaum so schlimm wie die Freiheit, die er sich mit dem Kuss herausgenommen hatte. Lord Alexander hielt wohl nicht viel von den Regeln des Anstands, und dazu gehörte offenbar auch, das Arbeitszimmer ihres Vaters zu durchsuchen.
Warum hatte er das getan, fragte sie sich verwirrt. Sie fühlte sich angegriffen; er war in die Intimität ihres Zuhauses eingedrungen; die Türen zu ihrem Balkon waren verschlossen gewesen, und der Schreibtisch ihres Vaters ebenso; offenbar hatte er die Schlösser geknackt, allein diese Fähigkeit war für den Sohn eines Dukes ungewöhnlich genug.
»Ich mag keine Menschenmengen.« Das stimmte, aber sie wünschte, das Zittern in ihrer Stimme wäre nicht so deutlich herauszuhören. Im Moment stand er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt und stürzte sie damit in Verlegenheit. Zum einen, weil er so groß war und beeindruckend breite Schultern hatte. Ebenholzschwarze Brauen wölbten sich über diese berückend mitternachtsdunklen Augen, während sie einander anblickten. »Warum seid Ihr hier draußen, Mylord?«
»Ich wollte mit Lady Fontaine ungestört reden.« Ironisch fügte er hinzu: »Vielleicht habt Ihr uns gehört. Ich vermute, das ist nur gerecht. Ich habe Euch hinterherspioniert, und Ihr habt mir hinterherspioniert. Ich denke, damit haben wir einen Gleichstand erreicht, oder? Ich habe Euch erst bemerkt, als Ihr Euch bewegt habt.«
Sie konnte es kaum leugnen. Amelia hasste Lügner ebenso sehr wie Lauscher. »Ich wollte Euer Gespräch mit Eurer … Freundin nicht belauschen.«
»Und ich wollte Euch nicht küssen.« Er lächelte, und seine Lippen verzogen sich geradezu verführerisch. »Aber ich kann nicht behaupten, dass ich es bereue, im passenden Moment zur Stelle gewesen zu sein. Und ich nehme an, Gabriella ist wirklich eine
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