Eine skandalöse Braut
kommentieren, trank Alex also seinen Portwein und schwieg.
»Was genau hat denn dieser Schuft angeblich gestohlen? Warum wurde ich darüber nicht früher informiert, damit ich einen Friedensrichter einschalten konnte?«, fragte sein Vater steif. Zweifellos mit der ihm gebührenden Gekränktheit.
»Hathaway hat nichts gestohlen«, erklärte Alex. »In seinem Besitz befindet sich etwas, von dem Großmama wünscht, dass ich es zurückhole, weil es uns gehört. Dieser Gegenstand wurde seinem Vater ausgehändigt. Sie vermutet, er hat den Gegenstand zusammen mit dem Titel geerbt, als der letzte Earl von uns ging.«
»Dort, wo der lüsterne Mistkerl ist, genießt er hoffentlich ein recht warmes Klima.« Endlich nahm sein Vater doch das Portweinglas und trank einen ordentlichen Schluck.
»Es ist keine besonders leichte Aufgabe«, sagte Alex. In seiner Stimme schwang Resignation mit, doch er überging die Bemerkung seines Vaters. »Sie will mir partout nicht sagen, warum dieser Gegenstand so wichtig ist. Nur, dass er eben wichtig ist. Deshalb musste ich auf der Suche danach in das Haus eines Earls eindringen, ich durchwühlte dort alles nach diesem winzigen Gegenstand. Ich kann nur hoffen, du nutzt deinen Einfluss und beugst das Recht, falls ich erwischt und vor den Friedensrichter gezerrt werde, damit ich nicht in Newgate lande. Ich war kurze Zeit in einem französischen Gefängnis, und das war schon ein Aufenthalt zu viel in einem Kerker.«
»Ich weiß von deiner Gefangennahme.« Die Finger seines Vaters schlossen sich fester um den Stiel seines Glases. Er bedachte Alex mit einem finsteren Blick. »Wellington schrieb mir. Er erzählte mir, du seist in seinen Diensten ein wertvoller Offizier gewesen.«
Drückte sein Vater damit seine Missbilligung oder seine Anerkennung für die Gefangennahme aus? Er wusste es nicht so recht. Aber das war für Alex nichts Neues. Als Kind war er schon so undurchschaubar. Die herzogliche Miene ist immer undurchdringlich gewesen, dachte er. Fast hätte er bitter aufgelacht. Sein Vater hatte dieses gewisse eiskalte Auftreten, das selbst von den kriminellen Aktivitäten seines jüngsten Sohns unberührt blieb.
»Wenn ich ihm gut gedient habe, dann stell dir vor, was ich für Großmama tun würde. Ich würde lügen, stehlen oder Schlimmeres für sie tun«, bemerkte Alex beiläufig. Er hob sein Glas an die Lippen. »Ich hoffe natürlich, das wird nicht nötig sein, aber wenn es das ist, werde ich entsprechend handeln. Der Krieg bringt es mit sich, dass man seine Ansichten gründlich überdenkt.«
»Ich kann mir vorstellen, dass er das tut. Du hast es geschafft, diesem spanischen Kerker zu entkommen, und ich vertraue darauf, dass du daraus gelernt hast, dich kein zweites Mal erwischen zu lassen. In diesem Sinne: Ich gehe davon aus, dass du die Angelegenheit mit größtmöglicher Diskretion schnell erledigen wirst.«
Wenn es so etwas wie einen königlichen Befehl gab, war dies einer. Zugleich war für seinen Vater die ganze unglückliche Angelegenheit damit erledigt.
Alex leerte sein Glas und stand auf. »Ich werde mein Bestes geben, Sir.«
10
Es war ungeheuer schwer, dem Konzert zu lauschen, ohne herumzuzappeln. Zum Teil lag das daran, dass Amelia den Pianisten für unfähig hielt, und zum anderen konnte sie nicht still sitzen, weil sie tief bewegt war und unentwegt zur Tür schaute, ob Alex endlich eintraf.
Ob er überhaupt kam? Es war ziemlich nervenaufreibend gewesen, ihm die Botschaft zu schicken. Aber sie hatte einfach nicht gewusst, was sie tun sollte. Vielleicht würde er sich irgendwann in den kommenden Tagen während ihres morgendlichen Ausritts wieder zu ihr gesellen, aber zu ihrer Enttäuschung sah sie ihn nicht jeden Tag. Und länger zu warten, ehe sie ihm von dieser interessanten Entwicklung erzählen konnte, kam nicht infrage.
Nachdem sie Alex St. James kennengelernt hatte, empfand sie London nicht mehr als so düster und beklemmend. Ganz im Gegenteil.
Sie zupfte an dem Handschuh an ihrem Arm und hoffte, sie machte weiterhin einen gefassten Eindruck. Sie faltete die Hände wieder im Schoß. Das Wetter war nicht länger sonnig und warm, sondern kalt und regnerisch. Es war aber nicht so kalt, dass sie Probleme hatte. Sie war dankbar, von ihrem Leiden im Moment verschont zu werden, denn die Fenster in Morrisons’ Salon standen allesamt weit offen, damit die Nachtluft hereinströmen konnte. Sie war ebenso dankbar, als die Musik mit einem dissonanten Akkord zu einem Ende kam
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