Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
empfand. Monatelang hatte sie daran gearbeitet, um ihrem Kummer zu entfliehen, und der innere Läuterungsprozess, der damit einherging, erlöste sie letztlich von der tiefen Trauer.
Sie zuckte mit den Schultern. »Was soll ich dir erzählen?«
»Was genau dich dazu gebracht hat, eine Entscheidung auf Leinwand zu bannen, die man nur einmal im Leben trifft. Hier geht es doch auch um dich, nicht wahr?«
Regina sank ebenfalls in einen Sessel, lächelte ironisch und betrachtete angelegentlich die Spitzen ihrer Schuhe. Selbst sie trug an einem Tag wie diesem Schuhe, denn draußen war es kalt und drinnen ohne Kaminfeuer ebenfalls nicht sonderlich warm.
Schließlich seufzte sie. »Ich habe einen Liebhaber.«
Luke schaute sie leicht überrascht an. Er war das genaue Gegenteil von ihr, die Haare dunkelblond, die Haut bronzefarben, doch mit denselben grauen Augen. »Ich … verstehe.« Ihr Bruder zögerte. Wieder betrachtete er von seinem Platz aus das Gemälde. Schließlich fügte er hinzu: »Wenngleich ich es nicht gewöhnt bin, dass du mich über Details deines Privatlebens informierst, darf ich vielleicht fragen, ob das Gemälde irgendetwas mit dieser neuen Affäre zu tun hat?«
Sie schüttelte den Kopf. Hätte sie ihre Gefühle besser im Griff, würden sie dieses Gespräch überhaupt nicht führen. »Ich will darüber eigentlich nicht reden.«
Wie vorherzusehen ignorierte Luke ihren Einwand. »Du bist schön und talentiert. Und eine erwachsene Frau, die vollkommen unabhängig ist. Warum solltest du dir keinen Liebhaber nehmen? Kenne ich ihn?«
»Den Mann auf dem Gemälde? Jetzt sag mir nicht, du weißt nicht, dass es sich um Wilhelm Tell handelt.«
»Jetzt weich mir bitte nicht aus, Regina. Wenn du es mir nicht verraten willst, ist das in Ordnung. Du kannst davon ausgehen, dass ich mich nicht einmischen werde. Aber neugierig darf ich doch wohl sein.«
Normalerweise pflegte sie ihr Privatleben auch vor der Familie geheim zu halten. Nur mit Luke verhielt es sich etwas anders. Nicht allein weil er ihr Bruder, sondern überdies so ziemlich der vorurteilsloseste Mensch war, den sie kannte.
»Ja.« Sie neigte leicht den Kopf und gab zu: »Ich vermute, ihr kennt euch.«
»Aha?« Fragend hob er die Brauen und schlug die Beine übereinander. Sein Fuß ruhte jetzt auf dem anderen Knie. »Dann ist er einer von uns .«
Sie stieß die Luft aus. »Von uns?«
»Ein unerträglicher Aristokrat. Ich glaube, so hast du es mehr als einmal ausgedrückt. Es sei denn, du bist dem Charme eines meiner Lakaien erlegen. In dem Fall wünsche ich dir übrigens alles Glück der Welt.«
»Du hättest nichts dagegen, wenn du einen Lakaien zum Schwager bekämst?« Sie hob eine Braue.
»Nicht solange er ein guter Lakai ist«, erwiderte ihr Bruder ungerührt. »Man muss schon Anforderungen stellen dürfen, oder nicht?«
In ihr stieg ein übermütiges Lachen auf. »Ich vermute, das ist eine berechtigte Einschränkung.«
»Denkst du wirklich über eine Heirat nach?«
Unerträglicher Aristokrat. Sie hatte das irgendwann ganz unbekümmert über die herrschende Klasse gesagt, doch James passte nicht in diese Kategorie. Und was Lukes Frage nach einer möglichen Heirat betraf, so fehlten ihr sowieso die Worte. Was also sollte sie dem Bruder antworten?
Sie hatte immer die Ansicht vertreten, dass kein Mann und keine Frau nur nach den Umständen der Geburt beurteilt werden durften. Und daran hielt sie fest. Bloß hatte ihre Beziehung zu James absolut nichts mit der sozialen Stellung zu tun, war Leidenschaft pur und vielleicht sogar noch etwas mehr. Schließlich seufzte sie und gab nach. »Nein, er ist kein Lakai. Das wäre im Grunde einfacher. Er ist, wer er ist, und ich bin, wer ich bin. Das macht die Angelegenheit so verdammt kompliziert.«
»Deine Worte erklären so gut wie nichts.«
»Es ist James Bourne.«
Es war befreiend, endlich seinen Namen laut auszusprechen. Und befriedigend, Lukes Verblüffung zu sehen, selbst wenn sich seine Miene nur kurz veränderte.
Langsam sagte ihr Bruder: »Ja, ich bin mit ihm bekannt. Ein netter Bursche. Im Moment ist er der Nachfolger eines Earls. Also definitiv kein Lakai.«
»Aber vergiss nicht, dass er viel jünger ist als ich.«
»Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.« Luke runzelte die Stirn. »Obwohl du vermutlich recht hast. Ich dachte eher daran, dass er den Ruf eines anständigen Kerls genießt, wohingegen du …«
»Ich weiß, ich gelte nicht gerade als anständig«, unterbrach sie ihn.
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