Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
Sie war nicht sicher, ob sie das amüsant oder eher traurig finden sollte – eben weil es nicht stimmte. Ihre Kehle wurde plötzlich eng. Sie weinte doch sonst nie. Was zum Teufel war nur mit ihr los?
»Das habe ich damit nicht sagen wollen«, sagte Luke lapidar. Er fuhr mit den langen Fingern durch seine Haare. »Regina, ich habe vorhin erst gesagt, dass du wunderschön bist. Talentiert und bezaubernd.«
»Bezaubernd?«, fragte sie. Ihre Stimme bebte leicht, aber ansonsten hatte sie sich wieder im Griff. »Wann war ich je bezaubernd?«
Luke schmunzelte. »Ich gebe zu, das Wort trifft es nicht ganz. Du bist viel zu unabhängig und eigenständig. Also nicht bezaubernd, sagen wir stattdessen schön und talentiert. Können wir es dabei belassen? Bourne wäre dumm, wenn er kein Interesse an dir hätte. Er scheint auf den ersten Blick nur nicht der Typ Mann zu sein, den du wählen würdest. Zumindest nicht, wenn ich bedenke, wen du bereits abgewiesen hast.«
»Ach, findest du?« Sie lehnte sich betont lässig zurück. Erfreut, weil ihr Bruder das Gemälde verstand, und zugleich beunruhigt, weil er sie so schnell durchschaute. »Das musst du mir erklären.«
Wenn für sie die Meinung einer Person zählte, dann die von Luke. Sie würde sich sonst niemandem anvertrauen. Außer James vielleicht. Falls sie ihm irgendwann ihre Liebe gestehen würde … Allerdings war sie nicht mal sicher, ob sie sich überhaupt in der Lage fühlte, die damit einhergehende Verpflichtung auf sich zu nehmen. Man würde sehen. Jedenfalls musste sie erst noch gründlich darüber nachdenken. Und dann wollte sie auch sichergehen, dass ihre Beziehung James ebenfalls mehr bedeutete als bloß Leidenschaft und Sex. Aber wie sollte sie das herausfinden?
»Bourne?« Ihr Bruder zuckte mit den Schultern und blickte sie unverwandt an. »Ich kenne ihn nicht allzu gut, aber auf mich macht er einen bodenständigen Eindruck. Zweifellos ein Gentleman, der sich gewandt in der Gesellschaft bewegt. Dazu ein cleverer Geschäftsmann, soweit ich gehört habe. Allerdings kaum einer, der über ein so riesiges Vermögen verfügt, dass er auf dem Heiratsmarkt sonderlich hoch gehandelt würde.«
So ähnlich hatte James es selbst beschrieben. »Und wenn es sich um eine deutlich ältere Künstlerin handelt, die finanziell unabhängig ist?«
»Deutlich älter? Ich finde, du übertreibst.«
»Wirklich?« Ihre Stimme klang ironisch.
»Bitte, Regina. Wen interessiert schon dein Alter? Ich bin älter als Madeline.«
»Das ist absolut nicht dasselbe, das musst du zugeben. Ich bin fünfunddreißig und darum eigentlich längst eine alte Jungfer, die keiner mehr will. Für Junggesellen gibt es keine vergleichbare Schmähung. Alte Jungfer heißt, dich hat keiner gewollt. Junggeselle heißt, du bist noch unverheiratet, weil du es willst. Das ist ziemlich ungerecht.«
Luke neigte den Kopf und zog es vor, nicht zu widersprechen. Weil sie recht hatte. »Ich verstehe, was du meinst.«
Plötzlich sprang Regina auf und ging zu dem Gemälde. Sie studierte es nachdenklich. Ihr Wilhelm Tell stand mit der gesenkten Armbrust da. Sein gequälter Gesichtsausdruck war ihr zwar nicht fremd, doch ihr Dilemma war ein anderes. Bei ihr ging es schließlich nicht um Leben oder Tod. Um ihre Art zu leben hingegen schon, denn die würde sich vermutlich zwangsläufig verändern, und sie musste vielleicht Verhaltensweisen aufgeben, die ihr lieb geworden waren.
»Ich glaube, zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich nicht, was ich will.« Es laut auszusprechen, fühlte sich an, als würde sie ihre Seele vor ihm entblößen.
»Ich denke, das allein spricht für sich, findest du nicht auch?«
»Wenn ich nur wüsste, was ich denken soll«, erwiderte sie heftig. »Dann würde ich dich nicht zum ersten Mal, solange ich denken kann, mit meinen persönlichen Angelegenheiten behelligen.«
Luke betrachtete sie nachdenklich. Sein Gesicht lag halb im Schatten. Als er sprach, war seine Stimme leise. »Liebst du ihn?«
»Woher soll ich das wissen?« Sie streckte die Hand aus. Ihre Finger streichelten die Leinwand. Ganz leicht nur, um nichts zu verwischen. »Ich bin verwirrt. Hin- und hergerissen. Habe keine Ahnung, was er empfindet, und das ist allein meine Schuld. Ich musste ja darauf bestehen, etwas völlig Unverbindliches mit ihm anzufangen. Keine Gespräche, die irgendwie ins Persönliche gingen. So habe ich es immer gehalten. Ich vermute, das klingt für dich vertraut, Brüderchen.«
»Das tut es«,
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