Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
im krassen Gegensatz zu seiner männlichen Aura stand? Wollte er in ihr das Gefühl wecken, dass er ernsthaft an ihr interessiert war? Der Gedanke ängstigte sie ein wenig.
»Warum wünscht Ihr unbedingt allein mit mir zu reden?«, murmelte sie.
Er zögerte einen Augenblick, schaute zur Tür und sagte schließlich: »Wurdet Ihr zufällig erpresst?«
Das war so ziemlich die letzte Frage, die sie erwartet hatte. Lily blinzelte überrascht. »Wie bitte?«
»Ich verspreche Euch, es gibt gute Gründe, das zu fragen.«
Sie öffnete den Mund und schloss ihn wieder, weil sie nicht wusste, was es darauf zu sagen gab, aber er kam ihrer Antwort zuvor, indem er die Hand hob und reumütig lächelte. »Ich verspreche Euch, falls es so sein sollte, wird diese Information nicht den Raum verlassen.«
Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben, und obwohl das Geräusch sie sonst immer beruhigte, war Lily diesmal alles andere als ruhig. Sie brauchte einen Augenblick, ehe sie mit mühsam gewahrter Gelassenheit fragte: »Warum sollte mich jemand erpressen?«
»Genau das interessiert mich.«
»Mylord, Ihr sprecht in Rätseln.«
Da lachte er, und das Lachen ließ sein Gesicht strahlen. »Wie ich sehe, beginnen wir, einander kennenzulernen.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich Euch da zustimmen kann.« Vergeblich versuchte sie, eine Falte in ihrem Musselinrock glatt zu streichen, und straffte die Schultern. »Die Antwort lautet Nein. Auf mich ist niemand zugekommen und hat mir gegen klingende Münze sein Schweigen angeboten. Was in Ordnung ist, denn ich verfüge nur über geringe Mittel.«
»Ich verstehe.«
»Ich nicht«, erwiderte sie und runzelte die Stirn.
»Ihr habt da einen wichtigen Punkt angesprochen.« Er sank etwas tiefer in die Polster und streckte die Beine aus. Seine Miene war nachdenklich. »Als eine junge, unverheiratete Frau hättet Ihr nicht die Mittel, um einen Erpresser zu bezahlen. Was würde es also bringen, Euch zu erpressen?«
»Darf ich vielleicht einwenden, dass ich absolut keine Ahnung habe, worüber wir gerade sprechen?«
»Ihr dürft einwenden, was Ihr wollt.«
Es gab nur einen Grund, warum jemand versuchen könnte, sie zu erpressen. Und man brauchte nicht allzu viel Fantasie, um den Grund zu erraten. »Es muss mit Arthur zusammenhängen.«
Er senkte leicht die Lider. »Was lässt Euch das denken, Lady Lillian?«
»Was anderes kommt nicht infrage.«
»Eine tugendhafte Lady. Ihr weckt meine Neugier jedes Mal aufs Neue.«
Neugier … Sie fand, er übertrieb seine Wissbegierde ein wenig und ging unschicklich direkt vor. Immerhin war er anders als die geckenhaften Gentlemen, die sie kannte, und erinnerte sie in gewisser Weise an ihren Bruder, obwohl Jonathan weniger subtil vorzugehen pflegte. Aber wenn er sie anlächelte, lag in Damien Northfields Augen das gleiche ironische Funkeln, und ihn umgab dieselbe gefährliche Aura. Um Haltung bemüht, atmete sie langsam aus. Dann fragte sie: »Ist das der Grund, warum Ihr hergekommen seid?«
Sie gefiel ihm in dem schlichten moosgrünen Musselinkleid mit den rosafarbenen Bändern. Der Ausschnitt war zu seinem Bedauern zu züchtig, doch zum Glück verfügte er über eine sehr lebhafte Fantasie. Lily besaß eine anmutige, natürliche Ausstrahlung, die sich in jeder ihrer Bewegungen ausdrückte. Wenn sie etwa die Hand hob, um eine verirrte Strähne von der Wange zu streichen. Oder wenn sie das Gewicht verlagerte, den Kopf drehte und zu dem regennassen Fenster blickte. Und erst recht, wenn ein Schatten über ihr Gesicht huschte …
»Ich weiß nicht, was zwischen Euch und dem Viscount passiert ist, aber ich glaube inzwischen zu verstehen, weshalb Ihr nicht gut von ihm denken könnt«, sagte er und tastete sich vorsichtig vor.
Ihr Widerspruch ließ nicht auf sich warten. »Meine Frage nach dem Grund Eures Kommens hat nicht das Geringste mit Lord Sebring zu tun. Das habt Ihr selbst daraus geschlossen.«
»Aus gutem Grund.«
Dabei wusste er eigentlich selbst nicht so recht, warum er in der Bibliothek des Earl of Augustine saß und Lily dermaßen in die Mangel nahm. Abgesehen davon, dass er endlich wissen wollte, was damals zwischen ihr und Sebring passierte. Ihm war nämlich der Gedanke gekommen, bei dem Problem, das zu benennen der Viscount sich weigerte, könnte es sich um etwas Ehrenrühriges handeln, das nicht nur seiner Ehe schadete, sondern auch seinen politischen Ambitionen. Und falls Kinkannon dahintersteckte, stellte er eine echte Bedrohung dar –
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