Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
wenn sie denken, dass Ihr mich eingeladen habt? Ich gebe Euch mein Wort, dass ich Euch nicht schaden werde.«
Von allen Drohungen, die er hätte ausstoßen können, war der Hinweis auf ihre Vergangenheit so ziemlich die wirkungsvollste. Und was seine beruhigend gemeinten Versicherungen betraf: Das Wort eines fremden Mannes, der unbefugt in ihre Räume eindrang, hatte für sie kein sonderliches Gewicht.
So etwas passierte doch nicht in Mayfair, protestierte sie in Gedanken, während er sie sich einfach über die Schulter warf. Ihr Nachthemd wurde dabei bis über die Knie nach oben geschoben, und ihr Hinterteil ragte bei dieser Aktion völlig undamenhaft in die Luft. Die Hände ihres Entführers packten eisern zu. Schweigend trug er sie zur Tür und hinaus in den Flur. Das Haus lag dunkel und still da. Sie bekam kaum mehr Luft, weil sich seine Schulter schmerzhaft in ihr Zwerchfell drückte.
Ihre Gedanken rasten. Die Selbstsicherheit ihres Entführers trug nicht gerade dazu bei, ihre Furcht zu bezähmen. Allerdings war er nicht grob, hielt sie ziemlich behutsam fest, als er sie die Treppe hinuntertrug und mit ihr durch den Dienstboteneingang nach draußen ging. Überall war es so finster, dass sie nichts erkennen konnte.
Eine geschlossene Kutsche wartete auf sie. Die Tür öffnete sich quietschend, und sie wurde auf die Sitzbank gelegt. Die offenen Haare flatterten um ihr Gesicht, das Nachthemd war völlig in Unordnung geraten. Der Fremde murmelte etwas, dann knallte er die Tür zu, und die Kutsche rollte an.
Ihr Herz hämmerte wie verrückt. Nach wie vor konnte sie sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen. Sie fürchtete sich, aber sie gab keinen Laut von sich. Kein Wimmern und kein Stöhnen und schon gar kein Schluchzen. Diese Genugtuung wollte sie ihm nicht gönnen.
»Aye«, sagte er leise. Seine Stimme klang im Dämmer der Kutsche wie ein geheimnisvolles Wispern. »Ich verstehe jetzt sein Interesse an Euch. Kann ich echt.«
Was zum Teufel meinte der Mann mit dieser Bemerkung, fragte sie sich, aber sie zog es vor zu schweigen. Zumal sie sowieso keinen klaren Gedanken fassen konnte. Stattdessen trat sie nach ihm – er zuckte zusammen und stieß einen Fluch aus. Wenigstens dieser kleine Triumph war ihr vergönnt.
»Ist es wirklich notwendig, meine Hände zu fesseln?«, stieß sie schließlich hervor. Sie war mittlerweile weniger verängstigt als vielmehr wütend.
»Aye, ist es. Man hat mich nämlich gewarnt, dass Ihr ein lebhaftes Temperament habt. Passt lieber auf, Mylady, sonst binde ich Eure schönen Fesseln auch noch zusammen«, murmelte er und rückte ein Stück von ihr weg. »Ich mag’s ja wild, doch nicht gewalttätig, wenn Ihr versteht, was ich meine.«
Sie verstand ganz und gar nicht, was er damit sagen wollte – nur dass er kein gewalttätiger Mensch zu sein schien. Inzwischen fand sie es überdies ziemlich dumm, nach jemandem zu treten, der einen in den Händen hatte.
Plötzlich geschah Unerwartetes. Der Fremde nahm seinen Umhang ab und beugte sich vorsichtig zu ihr herüber, um ihn ihr um die Schultern zu legen. Offenbar hatte er ihr Zittern bemerkt. »Tut mir leid. Ich hätte an die Kälte denken sollen …«
Lilys Verwunderung über diese merkwürdige Entführung wuchs. Als sie kurze Zeit später ihr Ziel erreichten, wurde sie wieder wie ein Mehlsack hochgehoben und der Umhang über ihren Kopf gestülpt, damit sie nichts sehen konnte. Sie hatte den Eindruck, dass ihr Entführer mit ihr eine Treppe hinaufstieg, und als sie sich zu winden begann, versetzte er ihr einen leichten Klaps aufs Hinterteil. »Still, Miss.«
Dann waren sie in einem Haus, aber sie hörte nichts außer dem Hämmern ihres Herzens. Erst als sie sich ein wenig beruhigte, bekam sie mit, wie sich eine Tür öffnete, und nahm den Duft von Tabak wahr, der sie an das Arbeitszimmer ihres Vaters erinnerte. Noch immer hing sie über der Schulter ihres Kidnappers, der sie nun einen Korridor entlangtrug. Zumindest glaubte sie das, weil seine Schritte laut von irgendwelchen Steinfliesen widerhallten. Und dann endlich wurde sie auf etwas Weichem, Bequemem abgeladen.
Als man ihr den Umhang vom Gesicht zog, vollführte ein junger Mann im Schein eines Kaminfeuers eine freche Verbeugung. Seine Augen funkelten. Er war schlanker, als sie gedacht hatte, und seine Haare glänzten pechschwarz. »Ich bitte vielmals um Entschuldigung für die Art und Weise, wie ich Euch transportiert hab.«
Lily richtete sich auf, strich sich die Haare
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