Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
aus dem Gesicht und ließ ihren Blick durch den Raum wandern. Es handelte sich um eine Art Wohnzimmer, das nur durch das langsam verlöschende Feuer im Kamin erhellt wurde. Sie selbst saß auf einem Brokatsessel, und ihre nackten Füße standen auf einem gemusterten Teppich.
»Eigentlich solltest du die Lady nur überreden, dich zu begleiten, damit wir uns ungestört unterhalten können. Du hast sie zwar hergebracht, aber offenbar mit den falschen Mitteln. Wir befinden uns nämlich nicht länger im Krieg, Alfred. Erinnere mich das nächste Mal daran, meine Anweisungen ganz eindeutig zu formulieren.«
Erleichterung erfasste sie beim Klang dieser Stimme mit dem leicht zynischen Unterton. Aber nicht lange, und sie empfand nur noch grenzenlose Wut. Der Sprecher selbst hatte sich die ganze Zeit über in einer dunklen Ecke des Raumes verborgen und trat jetzt aus dem Schatten. Mit einem halb offenen Hemd und dunkler Reithose nebst Stiefeln war Damien Northfield recht lässig gekleidet, und sein Gesicht wirkte in der Dunkelheit ziemlich düster.
»Ihr also!«, rief sie und bemühte sich, ihren ganzen Abscheu in diesen Ausruf zu legen. Was um Himmels willen hatte sich dieser Mann dabei gedacht, sie aus ihrem eigenen Schlafzimmer entführen zu lassen? Aber da war noch etwas anderes, das sie plötzlich überkam. Ein aufregendes Kribbeln. Der Kick etwa, wie ihn Abenteuer und Gefahr hervorrufen?
»Alfred, wenn du so gut wärst, die Lady jetzt zu befreien, werde ich ihr ein Glas Wein oder eine Tasse Tee holen, obwohl Letzterer vermutlich nicht mehr heiß sein dürfte. Die Haushälterin ist schon vor ein paar Stunden gegangen.«
»Was soll das alles?«, verlangte Lily zu wissen, als sie endlich ihre Stimme wiederfand. Zumindest war sie gottsfroh, dass sie sich nicht wirklich in Gefahr befand – nie befunden hatte. Sie rieb sich die von den Fesseln befreiten Gelenke.
»Es handelt sich um eine Gelegenheit zu einem ungestörten Gespräch, das wir unbedingt führen sollten.«
»Indem Ihr mich von zu Hause entführt?« Das war alles so unglaublich, dass sie noch immer zu träumen glaubte. »Konntet Ihr nicht einfach mit einem Strauß Veilchen vorsprechen, Mylord? Habt Ihr den Verstand verloren?«
»Ihr habt ihr Veilchen mitgebracht?« Northfields Komplize wirkte ehrlich amüsiert und steckte das Messer zurück in seinen Stiefel. »Wirklich? Das wird ja zunehmend interessanter, Sir.«
Sir?
Damien warf ihm einen vielsagenden Blick zu. »Ich werde mich um den Rest allein kümmern.«
»Ja, Mylord. Selbstverständlich. Ich nehme an, das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, damit ich verschwinde«, sagte er und war kurz darauf verschwunden. Völlig lautlos, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Zumindest begriff Lily jetzt, wie er unbemerkt bis in ihr Schlafzimmer vordringen konnte. Der Mann bewegte sich so leichtfüßig wie eine Katze, die sich anschlich.
Inzwischen hatte sie auch zwei und zwei zusammengezählt und ahnte, warum sie hier war. Es gab eigentlich nur eine Antwort: Es ging um Arthur. Das schien ihr so sicher zu sein wie das Amen in der Kirche. Und so unumstößlich wie die Tatsache, dass sie völlig unangemessen gekleidet war.
»Mylord, ich wiederhole mich, aber habt Ihr den Verstand verloren?«
Dieses Spiel war vermutlich so dumm wie jedes andere, das er in seinem Leben gewagt hatte. Dafür ließen sich genug Beispiele aufzählen. Während der berüchtigten hundert Tage nach Napoleons Flucht von der Insel Elba hatte er sich als Adjutant eines französischen Offiziers ausgegeben und mit gefälschten Papieren die feindlichen Linien passiert, um Schlachtpläne zu entwenden. Eine Aktion, die ihn wirklich Nerven ohne Ende kostete.
Dennoch fand er die Aktion der letzten Nacht fast noch dreister. Und nun saß er hier mit einer sehr hübschen, errötenden jungen Frau, die mit Recht wütend auf ihn war. Aber sie sah absolut bezaubernd aus – bloß das Nachthemd, fand er, war zu bieder und jungfräulich mit dem Spitzenrand an Manschetten und Halsausschnitt und der braven Schleife über dem Busen. Es schien ihm das Beste, auf ihre Wut mit vorsichtigen Ausflüchten zu reagieren. »Meinen Verstand verloren? Zweifellos. Doch Ihr habt mir noch keine Antwort gegeben, Lady Lillian. Tee oder Wein?«
Sie war wirklich hinreißend in ihrer Wut, ihrem gekränkten Stolz. Das Gesicht gerötet, die Haare wirr … Er wartete auf ihre Antwort und zündete währenddessen eine Lampe an. Er wollte ihr zwar nicht das Gefühl vermitteln,
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