Eine skandalöse Lady: Roman (German Edition)
nicht gerade selten und musste nicht unbedingt mit Lillian Bourne zu tun haben. Er stellte die Teetasse beiseite und rieb sich das Kinn.
»Ich bin sicher, das Gedränge in den Straßen von London ist etwas völlig anderes als das, woran du gewöhnt bist. Rolthven klingt für mich nach einem angenehmen Kompromiss. Du bist hier schließlich zu Hause.«
»Eigentlich ist es dein Zuhause.«
Colton zog die Augenbrauen hoch. »Soweit ich weiß, hast du deine Kindheit hier genauso gut verbracht wie ich. Anderenfalls müsste jemand, der dir verdammt ähnlich sieht, derjenige gewesen sein, der mich immer geärgert hat.«
Vielleicht war es ja sein Problem, dass er sich angesichts seiner glücklich verheirateten Brüder auf dem Familiensitz deplatziert fühlte. Da blieb er lieber in seinem Apartment, das nicht den Stempel der Vergangenheit trug und wo es niemanden wunderte, wenn unangemeldet Gäste wie Sir Charles oder Alfred auftauchten. Das alles vertrug sich nicht mit einem normalen Familienleben, und so ging er auf das Thema nicht weiter ein.
Colton ignorierte sein Schweigen und hakte auch nicht nach. Er nahm ein mit Johannisbeeren gefülltes Milchbrötchen vom Tablett, legte es auf ein Tellerchen und schenkte sich Tee ein. »Gibt es für diese Ruhelosigkeit einen bestimmten Grund?«, fragte er schließlich.
Damien vermutete, dass sein Bruder sich bestimmt an seine Fragen nach Lillian Bourne erinnerte. Er fühlte sich wie am Vorabend einer Schlacht, wenn man vor einem Tag voller Ungewissheiten stand.
Leise erwiderte er: »Ich bin mir nicht sicher.«
Kapitel 16
Es geschah im Foyer des Opernhauses, direkt nach der letzten Vorstellung dieser Saison, der Aufführung von Mozarts Don Giovanni . Die Nacht war hereingebrochen, und der Wind frischte auf. Die Gäste wollten schnell fort, und die Diener bemühten sich, die Kutschen irgendwie geordnet vorfahren zu lassen. Die Damen umklammerten fröstelnd ihre Mäntel, als es anfing zu regnen.
»Lily.« Die feste Hand auf ihrem Arm ließ sie aufblicken, und sie atmete scharf ein, weil sie die Stimme ihres einstigen Verlobten erkannte. Seine Gesichtszüge wirkten versteinert. »Auf ein Wort?«
»Hier?«, fragte sie ungläubig, denn es gab wohl kaum einen Ort, der weniger geeignet schien. Um die beiden drängten sich andere Opernbesucher, die ebenfalls schleunigst heimwollten.
Und zwischen all diesen Menschen musste irgendwo auch Lady Sebring sein – sie hatte die unfreundliche Dame während einer Pause bemerkt, als sie hochmütig den Blick über die Menge schweifen ließ. »Nur für einen Augenblick. Bitte!«, sagte Sebring gepresst.
»Was wird deine Frau denken?« Trotz ihrer bissigen Frage ließ sie sich von ihm durch die Lobby des Theaters ziehen. Der rote Teppich unter ihren Füßen war dichtflorig, und das Stimmengewirr dröhnte laut in ihren Ohren. Sie bahnten sich zwischen den Gruppen der Wartenden einen Weg. Gott sei Dank war die Herzoginwitwe nicht zu sehen, denn das fehlte gerade noch, dass sie sie beide gemeinsam erspähte.
»Es kümmert mich nicht im Geringsten, was Penelope denkt.« Er zog sie in eine relativ geschützte Ecke neben dem inzwischen verwaisten Tisch mit den Getränken und drehte sich abrupt um. Sein Blick bohrte sich in ihren. »Lily, hast du irgendwem etwas erzählt?«
Sie musste zugeben, dass diese Frage sie ehrlich verwirrte und seine sichtliche Erregung desgleichen. Überdies achtete er unter normalen Umständen penibel darauf, sich ihr nicht bei öffentlichen Veranstaltungen zu nähern. »Was?«
»Von mir.«
Wäre er nicht so blass und so verzweifelt gewesen, hätte sie einfach behauptet, keine Ahnung zu haben, wovon er sprach. So aber antwortete sie ihm absolut ehrlich. »Niemand weiß davon, außer meinem Bruder Jonathan. Und der würde niemandem ein Sterbenswörtchen erzählen. Er wollte selbstverständlich wissen, warum unserVater von dir weder eine Heirat noch Satisfaktion verlangte.«
Arthur blickte kurz zur Seite. Er wirkte angespannt. »Ich vermute, die Frage ist dennoch durchaus berechtigt, nicht wahr?«
Sie musterte ihn, wie er dastand in seinem exquisiten Abendanzug mit einer silbern bestickten Weste und sehr, sehr melancholisch wirkte. »Glaub mir, Jonathan hat mir sein Wort gegeben und würde es niemals brechen«, murmelte Lily. »Ich habe sonst keiner Menschenseele davon erzählt.«
»Ich habe es auch nicht ernsthaft geglaubt«, erwiderte er leise und ließ endlich ihren Arm los. »Ich war mir zwar sicher, dass du mich
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