Eine skandalöse Lady
würde irgendeine arme Seele zu Tode gefoltert.«
Lottie sah sich selbst ausgestreckt auf dem Flügel liegen, erschlafft unter Haydens kräftigem Körper nach einer Welle unvorstellbarer Lust; auf dem Diwan in Vorfreude erbebend, als er sich hinter sie kniete. Der einzige Tod, den ihr Ehemann zu verantworten hatte, war der, den die Franzosen so elegant mit »le petit mort« umschrieben. Und das war ein Tod, den sie liebend gerne noch tausendmal unter seinen geschickten Händen erleiden wollte.
Unfähig, ihren Wonneschauer zu vertuschen, sagte sie: »Du kannst Meggie mitteilen, sie bräuchte sich keine Sorgen mehr zu machen. Ich denke nicht, dass wir in nächster Zeit noch mal von dem Geist hören werden.«
»Wie kommst du dazu, das zu behaupten?«
Lottie konnte sich nicht überwinden, Justine zu verraten, noch nicht einmal an Harriet. Sie war der Frau zu dankbar, dass sie sie selbst und Hayden mit dieser packenden Melodie in das Musikzimmer gelockt hatte. »Es ist nur so ein Gefühl, das ich habe. Und außerdem, wer will schon die ganze Zeit in der Vergangenheit weilen, wenn es doch die Zukunft ist, auf die es ankommt?« Von der Hoffnung angetrieben, dass sie, Hayden und Allegra tatsächlich eine echte Familie werden könnten, schlug Lottie die Decken zurück und sprang aus dem Bett. »Ich sterbe vor Hunger. Hast du nicht etwas von Tee gesagt? Ich fühle mich, als könnte ich ein ganzes Tablett voll Scones essen.« Ehe Harriet antworten konnte, ging sie zum Fenster und stieß es auf. »Wie habe ich nur einen solchen Tag verschlafen können? Es ist absolut herrlich draußen!«
Vor dem Fenster peitschte der Wind über das endlose Moor und trieb graue Wolkenfetzen über einen trüben Himmel.
Lottie drehte sich zu Harriet um, die sie so verwundert anblinzelte, als hätte sie ihren Verstand verloren. »Bist du dir ganz sicher, dass du nicht vergiftet worden bist?«
Lottie lachte. »Wenn ich das wäre, dann habe ich Verlangen nach mehr, denn es ist das süßeste Gift überhaupt.«
Ehe sie das Fenster schließen konnte, fuhr ein Windstoß ins Zimmer und wehte die verstreut auf dem Schreibtisch herumliegenden Blätter durch die Luft. Sie und Harriet beeilten sich, sie einzusammeln. Lottie hatte etwa die Hälfte davon schon in ihr Schreibset zurückgesteckt, ehe sie bemerkte, dass etwas nicht in Ordnung war. Alle Blätter, die sie in den Händen hielt, waren leer.
Sie betrachtete sie einen Augenblick verwirrt und mit gerunzelter Stirn, bevor sie Harriet die restlichen Blätter entriss. Sie waren ebenfalls so weiß und rein wie an dem Tag, da sie sie in dem Papiergeschäft in der Bond Street gekauft hatte.
»Was ist los?«, fragte Harriet und starrte auf Lotties zitternde Hände. »Du bist so blass wie ein Gespenst.«
Lottie begann verzweifelt, an dem falschen Boden zu zerren. Das Fach darunter war leer.
»Mein Manuskript«, flüsterte sie, und in ihrem Magen breitete sich eisige Kälte aus, als ihr jedes einzelne verurteilende Wort wieder einfiel, das sie niedergeschrieben hatte, seit sie nach Oakwylde Manor gekommen war. »Es ist fort.«
Nach einer ergebnislosen Suche im Haus, fand Lottie Hayden schließlich auf einem Felsen unweit des Klippenrandes sitzen, wie auf einem Gemälde umrahmt von der grauen See und dem schieferfarbenen Himmel. Obwohl die zerklüfteten Felsen unten von ihrem Standpunkt aus nicht zu sehen waren, konnte Lottie sie fast spüren, die zackigen, glitzernden Zähne wie in einem weit aufgerissenen Maul, das nur auf die Dummen oder Leichtsinnigen wartete.
Hayden war in die Betrachtung der Papiere in seiner Hand versunken und sah in seinen hellen Hosen, dem altweißen Hemd mit offenem Kragen und den abgestoßenen Stiefeln haargenau so aus wie der finstere Romanbösewicht. Der Wind fuhr wie mit rastlosen Fingern durch sein dunkles Haar. Als Lottie seine zu einer strengen Linie zusammengepressten Lippen musterte, wunderte sie sich, dass eben dieser Mund sich zu einem zärtlichen Lächeln verzogen hatte, ehe er ihre Lippen in einem federleichten Kuss gestreift hatte, und dass eben dieser Mund ihr erst vor wenigen Stunden solche Lust bereitet hatte.
Sie fühlte, wie die Hitze sich von ihren Wangen aus in andere, verräterische Regionen ihres Körpers ausbreitete, und erklärte: »Du hattest kein Recht, in meinen Sachen zu wühlen.«
Hayden hob den Kopf und erwiderte ihren herausfordernden Blick. Sie wussten beide, dass sie bluffte. Dem englischen Gesetz nach besaß sie nichts. Alles gehörte
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