Eine skandalöse Lady
war einer ihrer Strümpfe nach unten gerutscht und bauschte sich um den Knöchel. Die blaue Schürze war zerknittert und mit Grasflecken übersät, während das dazu passende Haarband sich gelockert hatte und nun auf dem Rücken baumelte, sodass der Kleinen die Haare ins Gesicht hingen.
Etwas an ihrer Miene kam Lottie vage vertraut vor. Das trotzig gereckte Kinn, der misstrauische Ausdruck in ihren wunderschönen violetten Augen, die schmollend verzogenen Lippen …
Lottie tat das als Einbildung ab. Nach ihrer Erscheinung zu urteilen, musste sie das Kind eines der Dienstboten sein oder eine Waise aus einem Dorf in der Nähe, die im Herrenhaus Aufnahme gefunden hatte. Sterling hatte solchen Kindern von Zeit zu Zeit ein Zuhause gegeben, ihnen Schulbildung zukommen lassen, bis sie alt genug waren, sich in die Dienerschaft einzureihen.
Die Frau strahlte Hayden an, als könnte das freundliche Zwinkern ihrer warmen braunen Augen die Übellaunigkeit des Kindes irgendwie wieder wettmachen. »Willkommen zu Hause, Master Hayden. Wir sind so froh, Sie wieder hier zu haben. Ich hoffe, Sie haben auf Ihrer Reise alles gefunden, was Sie gesucht haben!« Sie wandte ihr sommersprossiges Gesicht Lottie zu und lächelte.
Trotzdem sie die Vertraulichkeit der Frau befremdlich fand, konnte Lottie nicht anders, als ihr warmes Lächeln zu erwidern.
»Ganz im Gegenteil, Martha«, entgegnete Hayden mit einem Anflug von Selbstironie in seiner Stimme. »Ich habe wesentlich mehr gefunden, als ich gesucht habe.«
»Das können wir sehen«, platzte das Mädchen heraus und schüttelte sich das Haar mit einer trotzigen Kopfbewegung aus dem Gesicht. »Wer ist sie? Meine neue Gouvernante?«
Ehe Lottie auf diese absurde Frage reagieren konnte, legte sich Hayden ihre behandschuhte Hand in die Armbeuge und verkündete: »Nein, Allegra. Sie ist deine neue Mutter.«
8
War seine erste Frau aus ihrem modrigen Grab gestiegen, um mich zu erschrecken oder …zu warnen ?
Lottie wäre es schwer gefallen zu sagen, wer von Haydens Erklärung entsetzter war – sie selbst oder das Mädchen. Sie starrten einander eine Schrecksekunde lang an, ehe sie beide ihren ungläubigen Blick auf Hayden richteten. Lottie versuchte, ihm ihre Hand zu entreißen, aber er hielt sie fest. Seine Miene war unergründlich.
Verblüfftes Murmeln war von der versammelten Dienerschaft zu hören. Offenbar war seine Tochter nicht die Einzige, die von der Nachricht von Haydens Eheschließung überrascht worden war. Eines der Dienstmädchen wagte es sogar, leise zu kichern, nur um sogleich durch ein scharfes Zischen von der Haushälterin zurechtgewiesen zu werden. Der strafende Blick der Frau hätte einen Wasserfall zu Eis erstarren lassen können.
Lotties Blick ausweichend, sagte Hayden: »Lottie, ich würde dir gerne meine Tochter Allegra vorstellen.«
»Tochter?«, brach es aus Lottie heraus, die zu verblüfft war, um diskret zu sein. »Du hast mit keinem Wort eine Tochter erwähnt!«
In dem Augenblick, da die Worte ihren Mund verlassen hatten, bereute sie sie und wünschte sich, sie könnte sie zurücknehmen. Obwohl sie das zuvor für unmöglich gehalten hätte, wurde die Miene des Mädchens noch verschlossener. »Warum auch? Schließlich tut er am liebsten so, als gäbe es mich nicht.«
Haydens Kiefermuskeln spannten sich an, bis er fast ein Spiegelbild des Mädchens zu sein schien. »Du weißt genau, dass das nicht stimmt, Allegra. Ich ziehe es lediglich vor, dich nicht unnötig der Neugier anderer auszusetzen.«
»Weil du Angst hast, ich könnte dich in Verlegenheit bringen«, entgegnete Allegra hitzig.
»Nein, weil ich fürchte, jemand anderer könnte versuchen, dich in Verlegenheit zu bringen«, erwiderte er.
Lottie fühlte sich genötigt einzuschreiten, ehe der Schlagabtausch in einen offenen Streit überging. »Nun, Allegra, du darfst deinem Papa nicht böse sein, dass er uns beide nichts über die andere verraten hat. Wäre unsere … äh, seine … Brautwerbung nicht so Hals über Kopf erfolgt, hätte ich sicher Zeit gehabt, in meiner Ausgabe von
Debrett’s Adelsregister
nachzuschlagen.« Ihre Nägel in Haydens Arm bohrend, strahlte Lottie zu ihm auf. »Du wolltest mir einfach nicht die Überraschung verderben, nicht wahr, Liebling?«
Allegra verschränkte ihre knochigen Arme vor ihrer Brust und sah dabei ihrem Vater immer ähnlicher. »Ich hasse Überraschungen.«
»Nun, meine junge Dame, ich glaube nicht, dass das ganz der Wahrheit entspricht«, erklärte
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