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Eine skandalöse Lady

Eine skandalöse Lady

Titel: Eine skandalöse Lady Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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nicht mehr so fremd fühlen, wenn sie sich erst einmal mit vertrauten Dingen umgeben hatte. Sie hatte gerade zwei Truhen ausgeräumt und jeden Schubladen und jedes Fach in der Wallnussholzkommode in der Ecke gefüllt, als sie plötzlich eines merkwürdigen Gefühl bekam. Obwohl sie schon in unzähligen Schauerromanen darüber gelesen und sogar selbst ein bis zwei Mal in ihren eigenen Geschichten darüber geschrieben hatte, hatte sie es nie wirklich selbst erlebt.
    Die Härchen in ihrem Nacken sträubten sich.
    Die Strümpfe, die sie in der Hand hielt, entglitten ihren Fingern, als Lottie sich langsam umdrehte und sich fragte, ob sie wohl gleich dem Geist von Haydens erster Frau gegenüberstehen würde.
    Von dem Haar, das ihr ins Gesicht hing und dem Schmutzfleck auf ihrer Nase her zu urteilen, war das Geschöpf, das um die Ecke lugte, jedoch eindeutig irdisch. Da sie spürte, dass ihre Besucherin kurz davor stand, bei der kleinsten Reaktion wegzulaufen, wandte Lottie rasch ihre Aufmerksamkeit wieder der Truhe zu.
    »Guten Morgen, Allegra«, sagte sie mit kühler Freundlichkeit. »Möchtest du nicht hereinkommen?«
    Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie das Mädchen mit offenen Schnürsenkeln zögernd in den Raum schlüpfte. Lottie war dankbar, dass das erste Kapitel ihres Romans, kurz vor dem Morgengrauen fertig gestellt, unter dem falschen Boden ihres Schreibsets verborgen lag, sicher vor neugierigen Augen.
    Nach einem Moment unbehaglicher Stille fragte Allegra unvermittelt: »Lieben Sie meinen Vater?«
    Lottie konnte nicht sagen, warum sie darüber nachdenken musste. Schließlich kannte sie den Vater des Mädchens kaum.
    Während sie noch nach einer passenden Antwort suchte, klopfte Allegra mit der Stiefelspitze auf den Boden. »Ich würde Ihnen keinen Vorwurf machen, wenn nicht. Er ist einfach unerträglich.«
    Lottie wurde einer Erwiderung – ob nun zustimmend oder widersprechend – enthoben, da Mirabella diesen Moment wählte, wie eine wild gewordene Wollmaus unter dem Bett hervorgerannt zu kommen. Mit dämonischer Freude stürzte sie sich auf Allegras lose Schnürsenkel.
    Eigentlich erwartete Lottie, dass Allegra sich sofort zu dem Kätzchen hinabbeugen und es streicheln und bestaunen würde, wie jedes andere kleine Mädchen es getan hätte, aber das Kind starrte unverwandt auf den Gegenstand, den Lottie soeben aus der Truhe vor sich genommen hatte.
    Lottie hielt die abgegriffene Puppe in die Höhe, und ein liebevolles Lächeln spielte dabei um ihre Lippen. »Meine Schwester hat sie mir von ihrer allerersten Reise nach London mitgebracht, als ich etwa so alt war wie du jetzt. Laura dachte, sie sähe genauso aus wie ich. Kannst du dir vorstellen, dass das arme Ding hier einmal fast ebenso hübsch war wie die Puppe, die dein Vater für dich hat machen lassen?«
    Die Puppe hatte ursprünglich blonde Locken besessen, die zu einem bezaubernden Knoten aufgesteckt gewesen waren, aber Lottie hatte den größten Teil davon versengt, als sie sich eingebildet hatte, sie müsse sie mit dem Lockeneisen bearbeiten. Die rosa bemalten Wangen waren verblasst, die Rüschen an ihren Unterröcken zerrissen und fleckig, die kleine Stupsnase abgesplittert. Über dem einen Auge trug sie eine schwarze Seidenklappe.
    »Nachdem sie ihr eines Auge in einem tragischen Unfall beim Bogenschießen verloren hatte, haben mein Bruder und ich mit ihr immer Pirat gespielt«, erklärte Lottie. »Wir haben sie über die Planke vom Heuboden nach draußen gehen lassen – daher stammt die abgeschlagene Nasenspitze.«
    Allegra betrachtete die Puppe nachdenklich. »Ich mag sie«, erklärte sie schließlich. »Darf ich mit ihr spielen?«
    Lottie war auf eine so dreiste Bitte nicht vorbereitet. Aber Allegras unnachgiebigem Blick konnte man nur schwer widerstehen. Trotz dem, was ihr Hayden über Allegras Wutanfälle erzählt hatte, hatte Lottie den Eindruck, dass das Kind nur um wenig bat und noch weniger erwartete.
    So strich Lottie die Röcke der Puppe glatt und reichte sie dem Mädchen. »Vermutlich kannst du bei ihr ohnehin nicht noch mehr Schaden anrichten, als ich es schon getan habe.«
    »Danke.« Ohne ein weiteres Wort klemmte sich Allegra die Puppe unter den Arm und marschierte aus dem Raum.
    Lottie erschien zum Frühstück und stellte fest, dass Hayden bereits auf sie wartete. Er saß am Kopf eines Mahagonitisches von solch einschüchternden Ausmaßen, dass man auf dessen glänzender Oberfläche bequem ein Cricket-Spiel abhalten konnte. In

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