Eine skandalöse Versuchung
wolle -, bis du endlich einwilligen wirst, mir zu gehören.«
Nur dich.
Als Leonora am nächsten Morgen am Frühstückstisch saß und ihren Tee trank, dachte sie über diese Worte nach.
Sie war sich nicht sicher, ob ihre Interpretation die richtige war, ob sie wirklich verstand, was Tristan ihr damit sagen wollte. Männer - zumindest Männer wie er - waren für sie ein Buch mit sieben Siegeln; ihr war nicht wohl dabei, seinen Worten zu viel Bedeutung - vielmehr die Bedeutung, die sie selbst darin sah - beizumessen.
Das war aber längst nicht ihr einziges Problem.
Die Leichtigkeit, mit der er ihre Entschlossenheit in Huntly House - genau wie an den Abenden zuvor - zunichtegemacht hatte, gab ihr eindeutig zu verstehen, dass ihre Hoffnung, sich gegen seine geübten Verführungskünste zur Wehr setzen zu können, schlichtweg lachhaft war.
In dieser Hinsicht brauchte sie sich nicht länger etwas vorzumachen; wenn sie sich ihm ernsthaft verweigern wollte, musste sie sich einen Keuschheitsgürtel zulegen. Und selbst dann … Er konnte mit ziemlicher Sicherheit Schlösser knacken.
Und es gab da noch etwas anderes zu bedenken.
Auch wenn sie mit dem Versuch, ihre These zu untermauern, seinen Absichten geradezu entgegenkäme, mochte sie doch trotzdem
recht behalten, sprich, wenn sie ihre Abwehrhaltung bezüglich einer Heirat mit ihm gezielt aufgäbe, mochte dies zur Folge haben, dass er allmählich das Interesse verlor.
Doch was, wenn es nicht so wäre?
Sie hatte die halbe Nacht über diese Frage nachgegrübelt, sich Details ausgemalt …
Castors leises Räuspern holte sie zurück in die Wirklichkeit; sie hatte keine Ahnung, wie lange sie ihren Gedanken so nachgehangen hatte - vertieft in ein völlig neues Panorama, verzückt von einer Vorstellung, der sie, ihrer eigenen Überzeugung nach, vor langer Zeit den Rücken gekehrt hatte. Nachdenklich schob sie ihren ungegessenen Toast beiseite und stand auf. »Sagen Sie dem Diener, er soll mir Bescheid geben, wenn er Henrietta ausführt. Ich werde sie heute begleiten.«
»Sehr wohl, Miss.« Castor verneigte sich und verließ den Raum.
An diesem Abend betrat Leonora, zusammen mit Mildred und Gertie, den Ballsaal von Lady Catterthwaite. Sie waren weder besonders früh noch spät. Nachdem sie ihre Gastgeberin begrüßt hatten, stürzten sie sich ins Getümmel. Mit jedem Tag kehrten weitere Vertreter der erlesenen Gesellschaft in die Stadt zurück, und die Bälle wurden dementsprechend immer überlaufener.
Lady Catterthwaites Ballsaal war klein und überfüllt. Leonora begleitete ihre Tanten zu einer Gruppe von Stühlen und Chaiselonguen, welche den älteren Damen dazu diente, ihre Schützlinge zu beobachten und zugleich die neuesten Geschichten auszutauschen; sie war überrascht, dass Trentham nicht bereits darauf lauerte, sich aus der Menge zu lösen und sie abzufangen. Sie auf der Stelle für sich zu beanspruchen.
Sie half Gertie dabei, sich auf einem Fauteuil niederzulassen, während sie sich insgeheim darüber ärgerte, mit welcher Selbstverständlichkeit sie seine Zuwendungen bereits erwartete. Sie richtete sich auf und nickte ihren Tanten zu. »Ich werde mich ein wenig unters Volk mischen.«
Mildred war bereits in eine Unterhaltung vertieft; Gertie nickte ihr zu und wandte sich dann ebenfalls der Gruppe zu.
Leonora drängte sich durch die bereits beachtliche Menge. Sie hätte mühelos die Aufmerksamkeit eines Gentleman auf sich ziehen oder sich zu irgendwelchen Bekannten hinzugesellen können, doch ihr war weder nach dem einen noch nach dem anderen. Sie war zwar nicht gerade besorgt, aber doch zumindest verwundert über Tristans Abwesenheit. Nachdem er am gestrigen Abend im Brustton der Überzeugung die Worte »nur dich« gesprochen hatte, war ihr ein plötzlicher Wandel an ihm aufgefallen - ein Anflug von Vorsicht und Wachsamkeit -, den sie nicht recht zu deuten wusste.
Er hatte sich nicht direkt vor ihr verschlossen oder sich von ihr zurückgezogen, aber sie hatte bei ihm so etwas wie einen instinktiven Selbstschutz gespürt - als wäre er zu weit gegangen, als hätte er mehr gesagt, als gut war … oder als richtig war.
Diese Möglichkeit zehrte an ihr; es war schon schwierig genug, seine Motive durchschauen zu wollen - sich auch noch mit der Tatsache auseinandersetzen zu müssen, dass, entgegen ihrem Willen und ihre Überzeugung, seine Motive ihr keineswegs gleichgültig waren, ebenso wenig wie die Tatsache, dass er womöglich nicht aufrichtig,
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