Eine skandalöse Versuchung
Rüstung fehlte - in dem vollen Bewusstsein, sich und seine Emotionen schutzlos auszuliefern, und zwar auf eine überaus leichtsinnige, törichte und tollkühne Art und Weise.
Sein Instinkt drängte ihn dazu, sich gegen eine solche Schwäche unmittelbar und umfassend zu wappnen, sie zu vertuschen und schnellstens Deckung zu beziehen.
An seiner Natur konnte er nichts ändern, er hatte sie längst so akzeptiert, wie sie war. Ebenso wie seine erschütternde Machtlosigkeit gegenüber diesem drängenden Bedürfnis, Leonora endlich für sich zu gewinnen, sie für immer sein Eigen zu nennen.
Und sie so schnell wie möglich zu heiraten.
Er erreichte die Schar älterer Damen, verneigte sich vor Mildred und gab ihr und Gertie die Hand. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich der Runde neugieriger Matronen geduldig vorstellen zu lassen.
Mildred erlöste ihn beizeiten, indem sie in den Saal hineindeutete und dabei bemerkte: »Leonora hat sich bereits unter die Menge gemischt.«
»Es wurde aber auch langsam Zeit, dass Sie auftauchen!«, murmelte Gertie, die am Rande der Gruppe saß und unvermittelt seine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. »Sie ist dort drüben.« Sie wies mit ihrem Stock in eine bestimmte Richtung; Tristan wandte sich um und sah, dass Leonora mit einem Offizier des Infanterieregiments sprach.
Gertie schnaubte verächtlich. »Dieser Tunichtgut von Whorton umgarnt sie schon die ganze Zeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das genießt. Sie gehen besser zu ihr hin und erlösen sie.«
Er hatte sich noch nie in ein Spiel gestürzt, ohne die Regeln genauestens zu kennen. Die Gruppe um Leonora stand ein wenig entfernt, doch Tristan hatte das Trio gut im Blick. Obgleich er Leonora nur im Profil sah, deuteten weder ihre Haltung noch ihre gelegentlichen Gesten darauf hin, dass sie sich in irgendeiner Weise unwohl oder beunruhigt fühlte. Sie vermittelte auch nicht den Eindruck, ihren Gesprächspartnern dringend entfliehen zu wollen.
Er wandte sich wieder Gertie zu. »Whorton. Ich nehme an, das ist der Hauptmann, mit dem sie gerade spricht?« Gertie nickte bestätigend. »Warum schimpfen Sie ihn einen Tunichtgut?«
Gertie kniff ihre alten Augen zusammen. Ihre Lippen bildeten eine harte Linie, während ihr Blick ihn forschend musterte. Vom ersten Moment an hatte sie sich ihm gegenüber weit weniger ermunternd
verhalten als Leonoras andere Tante; und dennoch hatte sie ihm keine Knüppel zwischen die Beine geworfen. Tatsächlich hatte er eher das Gefühl, dass sie ihm von Tag zu Tag wohlwollender gesinnt war.
Anscheinend bestand er ihre Prüfung, denn Gerties Blick wanderte plötzlich mit einem Nicken in Whortons Richtung. Ihre Abneigung war unverkennbar.
»Er hat sie sitzen lassen - darum. Mit siebzehn hat sie sich mit ihm verlobt, kurz bevor er nach Spanien aufbrach. Als er im nächsten Jahr zurückkehrte, hat er sich umgehend bei ihr gemeldet, und wir hörten alle schon die Hochzeitsglocken läuten. Doch dann hat Leonora ihm die Tür gewiesen und uns erklärt, er habe sie darum gebeten, die Verlobung zu lösen. Die Tochter seines Obristen hatte wohl mehr seinen Vorstellungen entsprochen.«
Gerties Schnauben sagte mehr als alle Worte. »Darum nenne ich ihn einen Tunichtgut. Er hat ihr das Herz gebrochen, dieser Unhold.«
Ein Wirbelsturm komplizierter Gefühle wühlte Tristan innerlich auf. Er hörte sich selbst fragen: »Sie hat die Verlobung also gelöst?«
»Selbstverständlich hat sie das! Welche Lady würde unter diesen Umständen etwas anderes tun? Sie war ihm nicht gut genug, diesem Nichtsnutz. Er hat sich lieber in ein wärmeres Nest gesetzt.«
Gerties Zuneigung für Leonora klang deutlich aus ihrer Stimme heraus, sie verlieh ihrer Empörung noch mehr Intensität. Aus einem Impuls heraus klopfte er ihr auf die Schulter. »Keine Sorge, ich werde sie auf der Stelle retten.«
Aber er würde Whorton mit seiner Rettungsaktion nicht zum Märtyrer machen. Ungeachtet der unschönen Details dieser ganzen Geschichte war Tristan alles in allem heilfroh, dass dieser Nichtsnutz Leonora nicht geheiratet hatte.
Die Augen fest auf das Trio geheftet, steuerte er zielsicher durch die Menge. Er hatte gerade ein zentrales Puzzlestück hinsichtlich Leonoras Einstellung zur Ehe erhalten, aber er konnte sich jetzt
nicht die Zeit nehmen, darüber nachzudenken und Teile hin und her zu schieben, um herauszufinden, wie sich das Gesamtbild zusammensetzte. Oder was das alles für ihn bedeuten würde.
Er trat an Leonoras
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