Eine skandalöse Versuchung
Sekretär auf, schloss ihn ab und stand auf. »Wir können mit Henrietta im Park spazieren gehen, und ich werde dir derweil von meinen Neuigkeiten berichten.«
Tristan sah sie mit hochgezogenen Brauen an, hielt ihr jedoch kommentarlos die Tür auf, um ihr dann in den Flur zu folgen. Sie hatte ihm am Vorabend erzählt, dass ihr einige von Cedrics Bekannten bereits geantwortet hatten; sie hatte ihn gebeten vorbeizukommen, damit sie mit ihm darüber sprechen konnte - den Spaziergang mit ihrem Hund hatte sie hingegen nicht erwähnt.
Er half ihr, ihre Pelisse überzustreifen, dann zog er selbst seinen Mantel über - in den Straßen herrschte ein eisiger Wind. Die Sonne
war von dichten Wolken verdeckt, aber immerhin war es trocken. Ein Diener brachte die an der Leine zerrende Henrietta zu ihnen. Tristan warf dem Jagdhund einen warnenden Blick zu, dann übernahm er die Leine.
Leonora ging voraus. »Bis zum Park sind es nur wenige Straßen.«
»Ich nehme an«, sagte Tristan, während er ihr zum Tor folgte, »du hast dir in letzter Zeit gemeinsam mit deinem Hund Bewegung verschafft?«
Sie warf ihm einen Blick zu. »Wenn das eine indirekte Frage ist, ob ich allein durch die Straßen gezogen bin, lautet die Antwort nein. Aber es schränkt einen schon sehr ein. Je eher wir Mountford das Handwerk legen, desto besser.«
Leonora eilte weiter voraus, zog das Tor auf und wartete, bis er und Henrietta hindurchgegangen waren, um es hinter ihnen zu schließen.
Er griff nach ihrer Hand und suchte ihren Blick, während er ihre Finger an seinen Ärmel führte. »Also, direkt zum Punkt.« Leonora sicher am Arm, ließ er sich von Henrietta in Richtung Park ziehen. »Was hast du herausgefunden?«
Sie atmete tief ein, hielt seinen Arm fest umschlungen und ließ ihren Blick geradeaus wandern. »Ich hatte große Hoffnungen auf A.J. Carruther gesetzt - Cedric hat in seinen letzten Lebensjahren überwiegend mit ihm korrespondiert. Gestern erhielt ich endlich Antwort aus Yorkshire, wo die Carruthers leben. Zuvor hatte ich schon drei weitere Mitteilungen von Naturkundlern aus verschiedenen Teilen des Landes erhalten, die mir allesamt rieten, mich an A.J. Carruther zu wenden, da sie der Ansicht waren, Cedric hätte vor allem mit ihm zusammengearbeitet.«
»Drei voneinander unabhängige Antworten, die alle die Vermutung anstellten, Carruther könnte etwas wissen?«
Leonora nickte. »Ganz genau. Unglücklicherweise ist A.J. Carruther jedoch tot.«
»Tot?« Tristan blieb auf dem Gehweg stehen und blickte sie an.
Auf der anderen Straßenseite erstreckte sich das weitläufige Grün des Hyde Parks. »Inwiefern tot?«
Sie verstand seine Frage richtig, zog aber trotzdem eine Grimasse. »Ich weiß es leider nicht - ich weiß nur, dass er tot ist.«
Henrietta zerrte an der Leine; Tristan warf einen Blick auf die Straße, dann führte er die beiden Damen hinüber. Henriettas riesige, zottige Gestalt und ihr offen stehendes Maul mit den vielen scharfen Zähnen lieferten Tristan eine willkommene Entschuldigung, um die beliebteren Ecken des Parks samt den Matronen und ihren Töchtern zu meiden; stattdessen führte er die drängende Hündin in westlicher Richtung in die dichter bewachsenen Gegenden jenseits der Rotten Row.
Dieser Bereich des Parks war nahezu verlassen.
Leonora wartete gar nicht erst auf die nächste Frage. »Der Brief, den ich gestern erhielt, kam von einem Anwalt in Harrogate, der für Carruther tätig war und den Familienbesitz betreute. Er setzte mich von Carruthers Tod in Kenntnis, sagte aber zugleich, dass er mir ansonsten leider nicht weiterhelfen könne. Er vermutete jedoch, Carruthers Neffe, der alle seine Tagebücher und Aufzeichnungen geerbt habe, könne vielleicht etwas Licht in die Sache bringen. Dem Anwalt war bekannt, dass Carruther und Cedric in den Monaten vor Cedrics Tod regelmäßig miteinander korrespondiert haben.«
»Hat dieser Anwalt erwähnt, wann Carruther verstorben ist?«
»Nicht genau. Er bemerkte lediglich, dass Carruther einige Monate nach Cedric gestorben sei und zuvor einige Zeit krank gewesen wäre.« Leonora hielt einen Moment inne, dann fügte sie hinzu: »Carruther erwähnt in seinen Briefen nie etwas von einer Krankheit, aber möglicherweise haben sie sich dafür nicht nahe genug gestanden.«
»Gut möglich. Und dieser Neffe - haben wir seinen Namen und die Adresse?«
»Nein.« Ihr Gesichtsausdruck gab beredt Auskunft über den Grad ihrer Enttäuschung. »Der Anwalt gab mir zu verstehen,
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