Eine skandalöse Versuchung
somit habe ich dich betrogen, und zwar um die Zuwendung und Sorge, die dir zustand, und ich schäme mich zutiefst dafür. Aber ich habe mich zugleich in vielfacher Hinsicht selbst betrogen. Ich habe mir all das versagt, was zwischen dir und mir - und Jeremy natürlich - hätte sein können. Ich habe uns sozusagen alle drei geprellt. Und trotzdem habe ich mein Ziel verfehlt. Ich war zu überzeugt von mir selbst, um zu begreifen, dass man seine Empfindungen nicht vollständig kontrollieren kann.«
Seine Hand schloss sich fester um die ihre. »Als wir dich dort gefunden haben, auf dem Fliesenboden …«
Seine Stimme zitterte, brach.
»Ach, Onkel Humphrey.« Leonora wandte sich ihm zu und umarmte ihn. »Es spielt doch überhaupt keine Rolle. Jetzt nicht mehr.« Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. »Es liegt in der Vergangenheit.«
Er erwiderte ihre Umarmung, doch betonte dabei barsch: »Und ob es eine Rolle spielt. Aber ich werde mich nicht mit dir streiten, denn du hast vollkommen recht. Es liegt in der Vergangenheit. Von nun an werden wir uns so verhalten, wie wir es schon immer hätten tun sollen.« Er zog den Kopf ein wenig ein, um ihr in die Augen zu sehen. »Hm?«
Sie lächelte, selbst den Tränen nahe. »Ja. Genau.«
»Gut!« Er ließ sie los und atmete tief ein. »Und nun musst du mir alles berichten, was ihr beide, du und Trentham, herausgefunden habt. Wenn ich recht verstehe, geht es dabei um Cedrics Arbeit?«
Sie erklärte ihm alles. Als Humphrey darum bat, Cedrics Tagebücher zu sehen, nahm sie einige vom Stapel in der Ecke.
»Hm … hm!« Er las die erste Seite, dann ließ er seinen Blick über den Bücherstapel wandern. »Wie weit bist du bis jetzt gekommen?«
»Erst bis zum vierten, allerdings …« Sie erklärte ihm, dass die Tagebücher keiner chronologischen Ordnung folgten.
»Dann hat er offenbar ein anderes Ordnungsprinzip verwandt; zum Beispiel ein separates Buch für jede eigenständige Idee.« Er schlug die Kladde auf seinem Schoß zu. »Es gibt keinen Grund, weshalb Jeremy und ich unsere Arbeit nicht für eine Weile unterbrechen sollten, um dir ein bisschen unter die Arme zu greifen. Es ist schließlich nicht dein Spezialgebiet, sondern unseres.«
Sie musste sich ernsthaft zusammenreißen, um ihn nicht mit offenem Mund anzustarren. »Und was ist mit den Mesopotamiern? Und den Sumerern?«
Ihr Onkel und ihr Bruder arbeiteten beide im Auftrag des British Museums.
Humphrey schnaubte und winkte ab, während er sich von seinem Platz hochdrückte. »Das Museum kann warten, diese Sache hier nicht. Nicht, solange ein ruchloser und gefährlicher Schuft hinter irgendetwas in unserem Hause her ist. Und außerdem«, er war endlich auf den Beinen, streckte seinen Rücken und grinste Leonora an, »wen sollte das Museum schon mit der Übersetzung beauftragen, wenn nicht uns?«
Hierüber ließ sich nicht streiten. Sie stand auf und betätigte den Klingelzug. Als Castor eintrat, bat sie ihn, den Stapel Tagebücher in die Bibliothek bringen zu lassen. Humphrey steckte sich das Tagebuch, das er zuvor betrachtet hatte, kurzerhand unter den Arm und verließ mit Leonoras Hilfe langsam den Raum in selbige Richtung. Im Flur überholte sie ein Diener mit dem übrigen Bücherstapel; sie folgten ihm in die Bibliothek.
Jeremy blickte auf; wie immer war sein Schreibtisch übersät mit aufgeschlagenen Büchern.
Humphrey gestikulierte mit seinem Stock. »Schaff ein wenig Platz. Neue Aufgabe. Äußerst dringlich.«
»Ach?«
Zu Leonoras Verwunderung gehorchte Jeremy auf der Stelle; er schloss mehrere Bücher und schob sie beiseite, sodass der Diener den hohen Bücherstapel vor ihm absetzen konnte.
Jeremy ergriff das oberste und schlug es auf. »Was ist das?«
Humphrey erklärte ihm alles; Leonora fügte hinzu, dass sie vermuteten, die Tagebücher könnten womöglich eine versteckte Formel enthalten, die in irgendeiner Weise wertvoll war.
Jeremy hatte sich bereits in die Lektüre vertieft und gab lediglich ein vage zustimmendes Geräusch von sich.
Humphrey begab sich an seinen gewohnten Platz und machte sich umgehend an die Lektüre des Tagebuchs, das er eben aus dem Salon mitgebracht hatte. Leonora dachte kurz nach, dann ließ sie die beiden zurück, um sich stattdessen dem Personal zu widmen und die üblichen Haushaltsangelegenheiten durchzusprechen.
Eine Stunde später kehrte sie in die Bibliothek zurück. Beide, sowohl Jeremy als auch Humphrey, waren in Cedrics Tagebücher vertieft; Jeremys Ausdruck
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