Eine skandalöse Versuchung
wiederum trieben ihn geradezu in den Wahnsinn; am Ende eines weiteren solchen Gefechts, das Mildred gnädigerweise zum Abschluss brachte, indem sie den alten Drachen von seiner Seite fortzog, wanderte Leonoras Blick zu ihm auf, während sie ihm zugleich unauffällig ihren Ellenbogen in die Seite stupste.
Er sah auf sie hinab, ein missmutiges Blitzen in den Augen. Sie lächelte ihn gelassen an. »Nun hör schon auf, so grimmig dreinzublicken.«
Ihm wurde bewusst, dass seine perfekte Fassade ein wenig brüchig geworden war, und brachte seine charmante Maske rasch wieder in Form. Währenddessen erwiderte er im Flüsterton: »Ich hätte diese alte Hexe erwürgen können, insofern war mein grimmiger Ausdruck noch eine überaus gelinde Reaktion.« Er begegnete ihrem Blick. »Ich weiß nicht, wie du es schaffst, solchen Personen gegenüber
die Fassung zu bewahren; sie geben sich nicht die leiseste Mühe, ihre eklatante Unaufrichtigkeit zu verbergen.«
Ihr Lächeln war verständnisvoll und spöttisch zugleich; sie lehnte sich einen Moment lang schwerer auf seinen Arm. »Man gewöhnt sich daran. Wenn sie besonders unausstehlich werden, muss man einfach alles von sich abprallen lassen und daran denken, dass sie nur auf eine Reaktion aus sind; indem man ihnen diese verweigert, hat man den Kampf bereits gewonnen.«
Er konnte ihr Argument durchaus nachvollziehen und versuchte sich dementsprechend zu verhalten, doch die Situation zerrte beharrlich an seinen Nerven. In den vergangenen zehn Jahren hatte er alles darangesetzt, keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; hier, auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung, im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stehen und alle Augen und zumindest die Hälfte aller Gespräche auf sich gerichtet zu wissen, lief all seinen tief verwurzelten Gewohnheiten zuwider.
Der Abend schleppte sich langsam dahin; viel zu langsam für seinen Geschmack. Die Anzahl der Ladys und Gentlemen, die nur darauf warteten, mit ihnen sprechen zu dürfen, wurde nicht merklich weniger. Er fühlte sich unsicher und ausgeliefert. Und hatte nach wie vor den Eindruck, den gefährlicheren Exemplaren ihrer Spezies nicht wirklich gewachsen zu sein.
Leonora nahm sich ihrer mit einer Sicherheit an, die ihn tief beeindruckte. Mit genau dem richtigen Maß an Hochmut wie Selbstbewusstsein. Wie gut, dass er sie gefunden hatte.
Dann traten Ethelreda und Edith zu ihnen hinzu; sie begrüßten Leonora, als würde sie längst zur Familie gehören, und sie erwiderte ihre Begrüßung in ähnlicher Weise. Mildred und Gertie berührten sich unauffällig an den Händen; er bemerkte, wie Edith eine kurze Frage stellte, auf die Gertie mit einer knappen Erwiderung und einem verschwörerischen Schnauben antwortete. Dann wechselten die älteren Damen verheißungsvolle Blicke.
Ethelreda trat an ihn heran und tätschelte seinen Arm. »Kopf hoch, mein Junge. Wir sind ja jetzt da.«
Sie und Edith gingen weiter, jedoch nur, um sich an Leonoras Seite aufzustellen. Im Laufe der nächsten fünfzehn Minuten tauchten seine anderen Cousinen - Millicent, Flora, Constance und Helen - auf. Sie begrüßten Leonora ebenso herzlich, wie Ethelreda und Edith es getan hatten, wechselten einige freundliche Worte mit Mildred und Gertie und bildeten dann gemeinsam mit Ethelreda und Edith eine lockere Gruppe an Leonoras Seite.
Und mit einem Mal wendete sich das Blatt.
Die Menge im großen Salon war unangenehm angewachsen; noch mehr Gäste standen um sie herum und warteten darauf, ein paar Worte mit ihnen zu wechseln. Es herrschte ein dichtes Gedränge - und er hasste es, bedrängt zu werden; Leonora begrüßte weiterhin all diejenigen, die bis zu ihnen vordrangen, stellte sie einander vor, übernahm die Gesprächsführung, doch sobald irgendjemand Anstalten machte, sich boshaft, kühl oder auch nur besitzergreifend zu verhalten, griffen Mildred, Gertie oder auch eine seiner Cousinen ein, um die impertinente Person mit einer belanglosen Äußerung fortzulocken.
Innerhalb kürzester Zeit wurde das Bild, das er bisher von seinen alten Damen gehabt hatte, vollständig zerstört und neu konstruiert; selbst die sich aus dem gesellschaftlichen Leben allmählich zurückziehende Flora zeigte bemerkenswerte Durchsetzungskraft, als es darum ging, eine überaus hartnäckige Lady abzulenken und zu entfernen. Gertie ließ ebenfalls keinen Zweifel darüber aufkommen, für welches Lager sie Flagge zeigte.
Diese Umverteilung der Rollen verunsicherte ihn nur noch
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