Eine skandalöse Versuchung
Martinbury. Inzwischen waren sie alle einigermaßen sicher, dass Mountford hinter irgendetwas her war, was sich in Cedrics Aufzeichnungen befand; A.J. Carruther war Cedrics engster Vertrauter gewesen, und Martinbury, als sein Erbe, war allem Anschein nach derjenige, dem Carruther seine Geheimnisse anvertraut hatte - und nun war Martinbury spurlos verschwunden.
Sein Verbleiben aufzuklären oder wenigstens Hinweise auf sein Schicksal zu finden, schien daher der erfolgversprechendste Weg, um Mountfords Motiv zu ergründen und etwas gegen die Bedrohung zu unternehmen.
Kurz gesagt, der schnellste Weg, um die Sache aus dem Weg zu räumen, damit er Leonora endlich heiraten konnte.
Doch die Polizeiwachen aufzusuchen, das Vertrauen der Leute zu erlangen, Dokumente einzusehen und nach kürzlichen Todesfällen zu suchen - all das kostete Zeit. Er hatte mit den Polizeiwachen in der Umgebung der Poststation angefangen, in deren Herberge Martinbury abgestiegen war. Als Tristan am späten Nachmittag in einer Droschke nach Hause rumpelte, ohne den geringsten Fortschritt erzielt zu haben, fragte er sich, ob er nicht von falschen oraussetzungen ausgegangen war. Martinbury mochte schon mehrere Tage in London gewesen sein, ehe er verschwand.
Tristan betrat sein Haus und wurde von Charles, der hergekommen war, um ihm Bericht zu erstatten, bereits in der Bibliothek erwartet.
»Nichts«, konstatierte Charles, sobald Tristan die Tür hinter sich geschlossen hatte. Er wandte sich in seinem Sessel beim Kamin herum und sah Tristan an. »Wie steht’s bei dir?«
Er verzog das Gesicht. »Das Gleiche.« Er nahm die Karaffe von der Anrichte und füllte sich ein Glas, dann trat er zu Charles hinüber, schenkte ihm nach und ließ sich schließlich in den anderen
Sessel sinken. Er starrte nachdenklich ins Feuer. »Welche Hospitäler hast du überprüft?«
Charles zählte die entsprechenden Einrichtungen auf; Hospitäler und Hospize, die allesamt in der Umgebung der Poststation lagen, wo die Kutschen aus York ankamen.
Tristan nickte. »Wir müssen schneller vorgehen und unsere Suche ausweiten.« Er erklärte Charles seine Überlegungen.
Dieser neigte zustimmend den Kopf. »Die Frage ist nur, wie können wir es selbst mit Deverells Hilfe schaffen, unsere Suche auszuweiten und zugleich schneller zu werden?«
Tristan nahm einen Schluck, dann ließ er sein Glas sinken. »Wir werden ein kalkuliertes Risiko eingehen und unsere Aufmerksamkeit gezielt einschränken. Leonora gab zu bedenken, dass Martinbury womöglich doch noch am Leben ist, aber aufgrund fehlender Kontakte irgendwo in einem Krankenhausbett vor sich hin vegetiert.«
Charles zog eine Grimasse. »Armer Kerl.«
»Eben. Außerdem ist dies das einzige Szenario, das uns in irgendeiner Weise weiterhelfen würde. Wenn Martinbury tot ist, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass der Täter irgendwelche Unterlagen zurückgelassen hat, die uns in die richtige Richtung führen könnten.«
»Stimmt.«
Tristan nippte erneut an seinem Glas, dann sagte er: »Ich werde meine Leute darauf ansetzen, die Hospitäler nach einem Mann abzusuchen, der Martinburys Beschreibung entspricht und der noch am Leben ist. Das lässt sich immerhin auch ohne unseren Einfluss bewerkstelligen.«
Charles nickte. »Ich werde dasselbe tun und Deverell mit Sicherheit auch …«
Vom Flur her drang eine Männerstimme zu ihnen. Sie blickten beide zur Tür.
»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Charles.
Die Tür öffnete sich und Deverell trat ein.
Tristan stand auf und schenkte ihm Brandy ein. Deverell nahm das Glas entgegen und ließ sich anmutig der Länge nach auf die Chaiselongue sinken. Im Gegensatz zu den ernüchterten Gesichtsausdrücken der beiden anderen funkelten seine grünen Augen lebhaft. Er hob ihnen sein Glas entgegen. »Ich bin gekommen, um euch Neuigkeiten zu überbringen.«
»Gute Neuigkeiten?«, fragte Charles.
»Ein kluger Mann überbringt nur gute Neuigkeiten.« Deverell unterbrach sich, um an seinem Brandy zu nippen; mit einem Lächeln ließ er das Glas sinken. »Mountford hat angebissen.«
»Er hat das Haus gemietet?«
»Sein Helfershelfer hat den Mietvertrag heute Morgen mitsamt der ersten Mietzahlung vorbeigebracht. Der Unterzeichner ist ein gewisser Mr Caterham, der unverzüglich einzuziehen gedenkt.« Er hielt kurz inne und runzelte leicht die Stirn. »Ich habe ihm die Schlüssel ausgehändigt und angeboten, ihnen das Haus zu zeigen, doch der Helfershelfer, er nennt sich übrigens
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