Eine skandalöse Versuchung
die Vermutung nur bestärkte, dass ihr mysteriöser Einbrecher im Montrose Place Nummer vierzehn nach etwas ganz Speziellem suchte.
Als sie schließlich in seinem Zweispänner zügig den Park durchquerten, ließ er Leonora an seinen Überlegungen teilhaben.
Sie runzelte die Stirn. »Ich habe das Personal befragt.« Sie hob den Kopf, um sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen, die sich vom Wind gelöst hatte. »Niemand kann sich etwas vorstellen, das in unserem Haus von besonderem Wert sein sollte.« Sie sah ihn an. »Abgesehen natürlich von dem naheliegenden Schluss, es könne irgendetwas in der Bibliothek sein.«
Er begegnete flüchtig ihrem Blick und richtete ihn dann zurück auf die Pferde. Nach einer kurzen Pause fragte er sie: »Könnte es sein, dass Ihr Onkel und Ihr Bruder etwas Wichtiges versteckt halten - eine Entdeckung vielleicht, die sie vorerst geheim halten wollen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin oft Gastgeberin, wenn die beiden ein Dinner für ein paar Kollegen geben. Auf ihrem Fachgebiet herrscht großer Konkurrenzkampf, doch anstatt irgendetwas für sich zu behalten, wird vielmehr jede allerkleinste Entdeckung so schnell und so laut es geht von den Dächern gerufen. Quasi, um sich die Rechte daran zu sichern, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Er nickte. »Das wäre also eher unwahrscheinlich.«
»Ja, allerdings … wenn Sie mich nun gefragt hätten, ob Humphrey und Jeremy vielleicht über etwas gestolpert sein könnten, dessen Bedeutung sie selbst nicht erkannt haben - oder dessen Bedeutung vielleicht schon, aber nicht dessen Wert«, sie blickte zu ihm auf, »dann würde ich sagen, ja.«
»Na gut.« Sie waren am Montrose Place angekommen. Vor der Nummer zwölf zügelte Tristan die Pferde. »Wir müssen wohl davon ausgehen, dass es sich so oder zumindest so ähnlich verhält.«
Er warf die Zügel seinem Stallburschen zu, der hinten auf der Kutsche mitgefahren war und nun rasch nach vorne gelaufen kam.
Tristan kletterte auf den Gehweg hinab und half Leonora herunter.
Sie hakte sich bei ihm ein; gemeinsam schlenderten sie hinüber zum Haus der Carlings.
Am Tor angekommen, trat Leonora einen Schritt zurück und blickte ihn an. »Und was sollen wir Ihrer Ansicht nach tun?«
Er sah ihr in die Augen, ohne dabei seine übliche Maske aufzusetzen. Ein winziger Augenblick verstrich, ehe er leise antwortete: »Ich weiß es nicht.«
Sein harter Blick hielt sie gefangen; er suchte ihre Hand, ließ seine Finger zwischen die ihren gleiten.
Ihr Puls fing an, wie wild zu rasen.
Er führte ihre Hand nach oben und ließ seine Lippen sanft über ihre Finger gleiten.
Sein Blick war unverwandt auf ihre Augen gerichtet.
Seine Lippen berührten erneut ihre Haut, verweilten, kosteten den Moment schamlos aus.
Ihr drohte schwindelig zu werden.
Er blickte sie forschend an, dann murmelte er mit tiefer, ruhiger Stimme: »Ich muss mir das alles noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Ich werde mich morgen bei Ihnen melden; dann können wir beide besprechen, wie wir weiter vorgehen sollten.«
Ihre Haut glühte dort, wo seine Lippen sie berührt hatten. Sie brachte ein Nicken zustande und trat zurück. Er ließ zu, dass sie ihm ihre Finger entzog. Sie stieß das Tor auf, trat auf die andere Seite und schloss es wieder. Durch die Stäbe hindurch sah sie ihn an. »Also dann, bis Morgen. Auf Wiedersehen.«
Sie drehte sich um, und mit einem heftigen Pochen in den Adern, das ihr bis in die Fingerspitzen drang, schritt sie den Weg zum Haus entlang.
5
»Ist das der Laden?«
Er nickte Charles St. Austell bestätigend zu und ergriff den Türknauf zu Stolemores Geschäft. Als Tristan am Vorabend einen seiner Klubs, The Guards , aufgesucht hatte, stand sein Entschluss bereits fest, Stolemore einen neuerlichen Besuch abzustatten und diesmal mit deutlich mehr Nachdruck aufzutreten. Dass er nun ausgerechnet Charles im The Guards angetroffen hatte, der gerade geschäftlich in der Stadt war und sich zufälligerweise in ebendiesen Klub zurückgezogen hatte, war ein unerwarteter Glücksfall, den Tristan nicht so einfach ignorieren konnte.
Jeder von ihnen konnte für sich genommen bedrohlich genug auftreten, um so gut wie jeden zum Reden zu bringen; gemeinsam würden sie Stolemore ohne Zweifel alles entlocken, was Tristan von ihm wissen wollte.
Er hatte die Angelegenheit nur zu erwähnen brauchen, und schon war Charles bereitwillig darauf angesprungen. Er war geradezu begeistert von der Idee, Tristan zu
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