Eine Spur von Lavendel (German Edition)
sie zu hassen. Henri gab nicht auf und versuchte immer wieder, mit mir in Ruhe über alles zu reden. Solange es mir möglich war, wich ich ihm aus, aber irgendwann war meine Kraft am Ende. Inzwischen hatten Reny und er meine Mutter über die Vorkommnisse informiert, und sogar sie redete mir am Telefon ins Gewissen. Seit der Trennung von meinem Vaterwürde sie selbst viele Dinge anders sehen, sagte sie. Sie war der Meinung, dass es immer ein Wink des Schicksals sei, wenn so etwas passierte. Sie meinte, ich wäre wahrscheinlich mit Adrienne sowieso nicht richtig glücklich geworden. Um die Sache kurz zu machen: Ich redete tatsächlich mit Henri und hörte mir seine Version der Geschichte an. Er gestand mir, dass er sich bereits auf den ersten Blick ziemlich heftig in Reny verliebt hatte – und er erzählte von dem Schmerz, als er herausfand, dass es ihr ebenso ergangen war. Sie wehrten sich über viele Monate gegen ihre Gefühle, bevor sie ihnen dann doch erlagen. Henri sagte damals einen Satz, der mir ziemlich an die Nieren gegangen ist: ‚Wir lieben dich beide so sehr, Alex, aber wir lieben uns eben mehr.‘“
Alexander griff erneut nach seinem Glas und setzte es an die Lippen. Linda saß stumm neben ihm, kämpfte gegen ihre Tränen und wagte es nicht, ihn zu berühren.
„Kurze Zeit später – es waren nur ein paar Wochen vergangen – eröffnete Henri mir, dass er zusammen mit Adrienne zu meiner Mutter nach Frankreich ziehen würde, um ihr bei ihren Plänen mit der Pension zu helfen. Ich war recht froh über diese Entscheidung, weil wir uns dann vorerst nicht mehr über den Weg laufen würden. Mutig fasste ich den Entschluss, mich auch endlich mit Reny auszusprechen, bevor sie ihren Umzug in die Tat umsetzten, aber nicht zuletzt auch, weil ich von Henri erfahren hatte, dass sie nun so bald wie möglich heiraten würden. Das Gespräch mit ihr gestaltete sich weitaus schwieriger. Sie bat mich immer wieder, dass ich ihr verzeihen möge, aber das konnte ich einfach noch nicht, denn ich liebte sie noch immer. Es wurde wirklich ein sehr emotionales Gespräch. Wir haben, glaube ich, beide geweint.“
Alexander bemerkte plötzlich, dass Linda unaufhörlich Tränen über die Wangen liefen, und zog sie heftig an sich. „Nein, Liebling, nicht. Bitte weine nicht.“ Er küsste ihre nassen Wangen und versuchte ein Lächeln, das etwas verrutschte. „Du bist echt süß, Ballerina.“
Sie lächelte ebenfalls unter ihren Tränen. „Es … tut mir nurso … furchtbar leid, was dir damals … passiert ist“, stammelte sie. „Dein eigener Bruder!“
„Ach Liebling, das ist doch so lange her und längst überwunden.“
„Wirklich?“
„Ja“, bekräftigte er. „Wirklich!“ Er hielt sie noch eine Weile in den Armen, bis sie sich von ihm löste.
„Wie ging es dann weiter?“, fragte sie.
„Adrienne und Henri heirateten noch kurz vor ihrer Abreise. Einige Monate später teilten sie mir schriftlich die Geburt ihres Sohnes mit. An dem Tag, als ich von dem Baby erfuhr, schwor ich mir, niemals wieder einer Frau die Gelegenheit zu geben, mir so wehzutun. Ich fing bewusst ein vollkommen neues Leben an und legte mir eine Art Gefühlspanzer zu. Die Wohnung, die ich zusammen mit Reny bewohnt hatte, gab ich auf und zog in das Apartment, das du ja kennst. Ich stürzte mich in meine Arbeit, aber gleichermaßen auch in das Nachtleben. Und leider wechselte ich auch die Frauen wie meine Oberhemden. Bald hatte ich den Ruf eines unbelehrbaren Casanovas. Ich nahm mir stets, wonach mir gerade war. So ging es jahrelang. Niemals wieder ließ ich es zu, dass mir eine Frau wirklich nahekam – und dann begegnete ich dir, Ballerina.“
Linda schluckte. „Du hattest recht. Ich … verstehe dein Verhalten mir gegenüber jetzt viel besser, Alex.“
Mit seinem Handrücken fuhr er leicht über ihr Gesicht. „Ich habe dich von Anfang an rasend begehrt, und mein Verlangen nach dir wurde von Tag zu Tag immer intensiver. Der tiefe Eindruck, den du auf mich gemacht hast, machte mir schwer zu schaffen. Du wirktest so zart und unschuldig, aber nach meiner Erfahrung mit Adrienne konnte ich nicht mehr daran glauben, dass es so etwas wie Unschuld bei Frauen überhaupt gibt. Unser Missverständnis in Bezug auf Walter bestätigte meine Befürchtung, und ich griff nach diesem Strohhalm, um dich wieder von mir zu stoßen. Das war dumm und vollkommen überzogen.“
Er zog seinen rechten Mundwinkel nach oben. „Als du mir etwas später auch noch diese
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