Eine Spur von Lavendel (German Edition)
anzunehmen.
Adriennes Schwangerschaft und vor allem die Geburt standen allerdings unter keinem guten Stern. Sowohl sie als auch Nicole wären fast dabei gestorben. Ich habe Höllenängste um sie ausgestanden.
Nun habe ich ein offenes und volles Geständnis abgelegt, obwohl ich schon in dieser Sekunde hoffe und jede Nacht darum bete, dass Du diesen Brief niemals lesen musst.
Ich habe Dir alles genommen, was wirklich wertvoll für Dich gewesen war oder gewesen wäre, wenn Du nur davon gewusst hättest. Zuerst Adrienne, dann auch noch Deine Kinder. Jeden einzelnen Tag habe ich in der Angst vor einer grauenhaften Strafe gelebt, einer Strafe von Dir, oder von Gott – ganz egal!
Du sollst wissen, dass es mir zutiefst leidtut, was ich Dir angetan habe. Aber ich konnte nicht anders entscheiden, und ich würde es auch heute noch nicht tun. Reny und die Kinder waren immer das Wichtigste für mich. Es gab für mich niemals eine Wahl, Alexander. Zu keiner Zeit.
Ich weiß nicht, welcher Situation Du gegenüberstehst, wenn Du jemals diesen Brief lesen solltest. Vielleicht … nein, diesen Gedanken werde ich nicht niederschreiben. Ich kann es nicht, denn allein schon die Vorstellung, Du könntest noch einmal Deine Hände auf meine Frau legen, macht mich krank, und es fällt mir nicht leicht, das zuzugeben. Es gab so verdammt viele Situationen und Bereiche in meinem Leben, in denen es für mich unvergleichlich schwer war, Dein kleiner Bruder zu sein.
Dem Originaltestament liegt eine eidesstattliche Erklärung von Adrienne und mir bei, die bestätigt, dass Du der leibliche Vater unserer ehelich geborenen Kinder bist. Entscheide selbst, wann und ob überhaupt Du Deinen Kindern die Wahrheit sagst. Ich vertraue Dir, wie ich Dir immer vertraut habe, und verbleibe in der stillen Hoffnung, dass Du mir irgendwann verzeihen kannst, in Liebe,
Dein Bruder Henri.“
Tobias las noch das Datum vor, das unten auf der Seite vermerkt war, und Alexander registrierte, dass Henri den Brief genau eine Woche nach Nicoles Geburt verfasst hatte.
„Hier sind noch ein paar Zeilen von Adrienne, Alex. Vielleicht solltest du die doch lieber selber lesen.“
Alexander nickte stumm und nahm ihm den letzten Bogen aus der Hand.
„Geliebter chouchou“ , las er ganz oben auf dem Briefbogen. „Scheiße!“, rief er wütend aus und griff erneut nach der Schnapsflasche.
„Lass nur“, sagte Tobias. „Ich mach das schon.“
Sie stürzten gleichzeitig ihren vierten Schnaps hinunter, und Alexander zwang sich dazu, die Augen wieder auf das Blatt zu senken, das er zitternd in der Hand hielt. Adriennes schön geschwungene Handschrift schien ihn ebenso hypnotisch anzustarren, wie es eine Giftschlange tun würde, bevor sie angreift.
Geliebter chouchou!
Ich brauche Dir wohl kaum noch zu sagen, wie unendlich leid mir alles tut. Ich nehme an, mein Mann hat in seinem Schreiben an Dich schon genug Entschuldigungen hervorgebracht.
Alles, was ich noch will, ist, mich für die Zeit zu bedanken, in der Du für mich da gewesen bist. Sie war die glücklichste Zeit meines Lebens. Auch wenn meine Liebe zu Henri noch so groß ist, so war ich mit Dir doch unvergleichlich glücklicher und vor allem zufriedener, mein Herz. Dies ist keine barmherzige Lüge, glaube mir, sondern nur die schlichte Wahrheit und ebenso eine Folge der Umstände. Henri und ich haben es niemals ganz geschafft, uns von unserer Schuld zu befreien. Du sollst wissen, dass ich allein durch Dich gelernt habe, was Menschlichkeit, Liebe und Fürsorge bedeuten können und wie wichtig diese Dinge für ein glückliches und harmonisches Zusammenleben sind.
Ich danke Dir für die Liebe, die Du mir stets geschenkt hast. Und vor allem danke ich Dir für das Wertvollste und Wun derbarste in meinem Leben: unsere Kinder!
Natürlich weiß ich, dass eine Bitte um Vergebung vermessen und unangebracht wäre, ich erspare sie deshalb Dir und auch mir.
Ich liebe Dich, chouchou, für immer.
Reny.
Es war Alexander jetzt egal, dass er nicht allein war. Er ließ seinen Tränen einfach freien Lauf, um dem ungeheuren Druck in seiner Brust und in seiner Kehle ein Ventil zu bieten. Tobias Kroning stand wortlos auf und reichte ihm eine Packung Papiertaschentücher, die er auf einem kleinen Regal über der Arbeitsplatte entdeckt hatte. Alexander zog dankbar eines der Tücher heraus und putzte sich geräuschvoll die Nase.
„Scheiße!“, rief er erneut aus. „Verdammte Scheiße! Da oben liegen meine Kinder in ihren Betten,
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