Eine Spur von Verrat
entsprang.
»Danke. Haben Sie irgendwann einmal einen Streit Ihrer Eltern mitangehört, sagen wir, in den letzten zwei, drei Jahren?«
Sie gab sich Mühe, sein Lächeln zu erwidern, doch der Versuch scheiterte bereits in den Anfängen.
»Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht«, sagte sie ernst. »Und ich fürchte nicht. Papa war nicht der Typ zum Streiten. Er war General. Generäle streiten nicht.« Sie schnitt eine schwache Grimasse. »Das liegt vermutlich daran, daß nur ein General es wagen würde, einem anderen General zu widersprechen, und zwei von der Sorte sind selten zur selben Zeit am selben Ort. Für gewöhnlich steht zwischen ihnen eine ganze Armee.«
Sie beobachtete ihn scharf. »Außer auf der Krim, wie ich gehört habe. Und dann mußten sie sich natürlich streiten – und das Resultat war katastrophal. Das sagt zumindest Maxim Furnival, obwohl alle anderen es abstreiten und behaupten, unsere Männer wären furchtbar tapfer gewesen, die Generäle allesamt unglaublich gescheit. Nun, ich glaube Maxim.«
»Ich auch«, pflichtete Monk ihr bei. »Ich glaube, ein paar von ihnen waren tatsächlich gescheit, die meisten leidlich tapfer, aber viel zu viele waren verheerend unfähig und unverzeihlich dumm!«
»Ist das Ihr Ernst?« Wieder huschte dieses sonderbar eilfertige Lächeln über ihr Gesicht. »Nicht viele Leute würden sich trauen, Generäle als dumm zu bezeichnen, schon gar nicht, wenn der Krieg so nah ist. Aber mein Vater war einer, folglich weiß ich, wie sie sein können. Von manchen Dingen verstehen sie was, von anderen haben sie nicht die leiseste Ahnung – zum Beispiel von den simpelsten Dingen über Menschen. Frauen machen die Hälfte der Weltbevölkerung aus, wußten Sie das?« Das klang, als könne sie es selbst kaum fassen.
Monk stellte fest, daß er sie mochte. »War Ihr Vater so?« fragte er sie, nicht nur, weil es seinen Ermittlungen diente, sondern aus echtem Interesse.
»Durch und durch.« Sie warf den Kopf in den Nacken und strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Bewegung kam ihm verblüffend vertraut vor, bescherte ihm jedoch keine optische oder akustische Erinnerung, sondern ein seltenes und für ihn ungewohntes Gefühl von Zärtlichkeit. Er spürte den starken Wunsch, sie zu beschützen, als wäre sie ein hilfloses Kind. Und doch stand für ihn außer Frage, daß er dieses spezielle Drängen niemals für ein Kind empfinden könnte; es galt einer ganz bestimmten Frau.
Aber wem? Was war zwischen ihnen geschehen, warum hatte er den Kontakt zu ihr verloren? Lebte sie nicht mehr? War er mit seinen Beschützerversuchen gescheitert – wie bei den Walbrooks? Hatten sie sich gestritten? Hatte er sie mit seinen Gefühlen zu stark bedrängt? Liebte sie einen anderen?
Wenn er nur mehr über sich wüßte, dann würde er vielleicht auch die Antworten auf all diese Fragen kennen. Seine bisherigen Erkenntnisse hatten ihm gezeigt, daß er absolut kein sanftmütiger Mensch war. Er war es weder gewohnt, seine Zunge im Zaun zu halten, um irgendwelche Gefühle anderer Leute zu schonen, noch seine eigenen Wünsche, Bedürfnisse oder Ansichten hintanzustellen. Seine Worte konnten vernichtend sein – das hatten ihm bereits zu viele mißtrauische und gekränkte Untergebene bestätigt. Mit wachsendem Unbehagen dachte er an die argwöhnische Vorsicht, mit der man ihn bei seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus empfangen hatte.
O ja, sie bewunderten ihn, hatten großen Respekt vor seinen beruflichen Fähigkeiten, seiner Urteilskraft, seiner Ehrlichkeit, seinem Spürsinn, seinem Engagement und seinem Mut. Aber sie fürchteten ihn auch – und das nicht nur dann, wenn sie ihre Pflichten vernachlässigt oder es mit der Wahrheit einmal nicht ganz so genau genommen hatten, sondern auch, wenn sie völlig im Recht waren. Was bedeutete, daß er diverse Male ungerecht gewesen sein mußte, seinen beißenden Sarkasmus sowohl an den Starken wie auch den Schwachen ausgelassen hatte. Mit diesem Bewußtsein lebte es sich nicht besonders angenehm.
»Erzählen Sie mir von ihm.« Er schaute Sabella aufmunternd an. »Erzählen Sie mir alles über seinen Charakter, seine Interessen, was Sie am meisten an ihm gemocht haben, was Sie nicht ausstehen konnten.«
»Was ich am meisten an ihm mochte?« Sie dachte angestrengt nach. »Ich glaube, ich mochte…«
Er hörte ihr gar nicht zu. Die Frau, die er geliebt hatte – ja, geliebt war das richtige Wort –, warum hatte er sie nicht
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