Eine Spur von Verrat
vermutlich war es für einen General vollkommen legitim, dem Stallmeister vorzuschlagen, seine Vorräte bevorzugt von einem bestimmten Händler zu beziehen, vorausgesetzt, der Preis war in Ordnung. Und selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte Alexandra kaum Grund gehabt, sich darüber zu ärgern oder deswegen zu leiden – geschweige denn, einen Mord zu begehen.
Dennoch war es eine weitere Spur, die zu den Furnivals führte.
»Erinnern Sie sich an den Unfall, bei dem Ihr Vater mit einem Ziermesser verletzt wurde? Es geschah im Haus der Furnivals. Die Wunde muß ziemlich ernst gewesen sein.«
»Er wurde nicht verletzt«, sagte Sabella mit einem winzigkleinen Lächeln. »Er rutschte ab und fügte sich den Schnitt selbst zu. Er war dabei, das Messer zu säubern, wenn mir auch schleierhaft ist, warum. Es wurde nie benutzt.«
»Aber Sie erinnern sich daran?«
»Ja, sehr gut sogar. Der arme Valentine war ganz außer sich. Ich glaube, er war dabei, als es passierte. Er muß damals erst elf oder zwölf gewesen sein, der Ärmste.«
»War Ihre Mutter da?«
»Bei den Furnivals? Ja, ich denke schon. Ich weiß es wirklich nicht mehr genau. Louisa war da. Sie schickte unverzüglich nach Dr. Hargrave, weil mein Vater sehr stark blutete. Sie mußten ihm einen ziemlich dicken Verband anlegen. Er bekam kaum seine Hose darüber, obwohl Maxims Kammerdiener ihm half. Als er von dem Lakaien und dem Kammerdiener gestützt die Treppe runterkam, konnte ich ganz deutlich die riesige Beule unter dem Stoff sehen. Er war entsetzlich blaß und fuhr sofort mit der Kutsche nach Hause.«
Monk versuchte sich das Ganze bildlich vorzustellen. Ein ausgesprochen dummer Unfall, ja. Aber war er von Bedeutung? Konnte es sich dabei um einen frühen Mordversuch gehandelt haben? Sicher nicht. Nicht im Haus der Furnivals und vor so langer Zeit. Moment – warum eigentlich nicht im Haus der Furnivals? Durch ihre Hand gestorben war er letztlich auch dort. Aber warum hatte sie es dann zwischendurch nicht mehr probiert?
Sabella war, laut eigenen Worten, die Wölbung unter seinem Hosenbein aufgefallen – kein blutiger Riß an der Stelle, wo das Messer den Stoff durchdrungen haben müßte! War es möglich, daß Alexandra ihn mit Louisa im Bett erwischt und in einem Anfall von unkontrollierter Eifersucht zum Messer gegriffen hatte? Waren sie und der General übereingekommen, es geheimzuhalten, um einen Skandal zu vermeiden? Sabella zu fragen war sinnlos. Sie würde es zweifellos leugnen, um ihre Mutter zu decken.
Er blieb noch etwa eine halbe Stunde, in der er Sabella weitere, zum Teil sehr gemischte Erinnerungen bezüglich ihrer Eltern entlockte, erfuhr dabei jedoch nichts, was er nicht schon aus den Gesprächen mit den Bediensteten in Alexandras Haus wußte. Der General und sie hatten eine recht zufriedenstellende Beziehung geführt. Kühl, aber nicht unerträglich. Er hatte sie in keiner Weise schlecht behandelt, war großzügig gewesen, ausgeglichen und von keinem offensichtlichen Laster befallen; er war einfach ein gefühlsarmer Mann, dem seine eigenen Interessen und seine eigene Gesellschaft vollauf genügten. Damit mußten fraglos viele verheiratete Frauen leben; es war nichts, das ernsthafte Beschwerden, geschweige denn Gewalt gerechtfertigt hätte.
Monk bedankte sich, versprach ihr noch einmal, bis zum letzten Moment alles für ihre Mutter zu tun, was in seiner Macht stand, und ließ sie dann mit aufrichtigem Bedauern allein, weil er ihr keinen echten Trost spenden konnte.
Er hatte bereits ein gutes Stück auf dem sonnenerwärmten Bürgersteig zurückgelegt, als ihn der plötzliche Duft von blühendem Flieder so abrupt anhalten ließ, daß ein am Randstein entlangeilender Botenjunge beinahe über ihn gestolpert wäre. Der Geruch, das strahlend helle Licht und die von den Pflastersteinen aufsteigende Wärme erzeugten ein so abgrundtiefes Gefühl völliger Einsamkeit in ihm, als hätte er in eben diesem Moment etwas unermeßlich Wichtiges verloren oder realisiert, daß es außerhalb seiner Reichweite lag, obwohl er sich dessen längst sicher wähnte. Seine Kehle wurde eng, das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Warum? Wer? Wessen Nähe, wessen Freundschaft oder Liebe hatte er verloren? Wie? Hatte man ihn verraten – oder war er derjenige, welcher gewesen? Er hatte grauenhafte Angst, daß er selbst dafür verantwortlich war.
Eine Antwort kannte er bereits, noch während ihm die Frage durch den Kopf schoß: Es ging um die Frau, deren
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