Eine Spur von Verrat
geheiratet? Hatte sie ihn abgewiesen? Aber wenn sie ihm tatsächlich dermaßen wichtig gewesen war, warum konnte er sich dann nicht einmal mehr an ihr Gesicht oder ihren Namen erinnern? Warum tauchten immer nur diese grellen, verwirrenden Blitzvisionen auf?
Oder war sie am Ende doch schuldig gewesen? Hatte er aus diesem Grund versucht, sie aus seinem Gedächtnis zu streichen? Und jetzt meldete sie sich nur deshalb immer wieder mit solcher Hartnäckigkeit, weil er die Umstände, die Schuldgefühle, das schreckliche Ende der Beziehung verdrängt hatte? Konnte seine Urteilskraft ihn derart getäuscht haben? Bestimmt nicht. Es war immerhin sein Beruf, die Wahrheit aus einem Gestrüpp von Lügen herauszupicken – unmöglich, daß er ein solcher Narr gewesen war!
»… außerdem mochte ich seinen ruhigen Ton«, meinte Sabella gerade. »Ich kann mich nicht entsinnen, daß er jemals geschrien oder ungehöriges Vokabular benutzt hätte. Er hatte eine wunderschöne Stimme.« Sie hielt den Blick an die Decke gekehrt, wie lange schon, konnte er nicht sagen. Ihr Gesicht war wieder weich. Wie ausradiert war die Wut, die er nur vage zur Kenntnis genommen hatte, als sie über die Dinge gesprochen haben mußte, die sie nicht ausstehen konnte. »Er hat uns oft aus der Bibel vorgelesen, vor allem aus dem Buch Jesaja«, fuhr sie fort. »Ich weiß nicht mehr, was er gesagt hat, aber ich weiß noch genau, wie gern ich ihm zugehört habe, weil seine Stimme uns so angenehm einlullen konnte und plötzlich alles bedeutsam und gut wirkte.«
»Und ihr größter Kritikpunkt?« soufflierte er in der Hoffnung, daß sie darauf in der Zeit seiner gedanklichen Abwesenheit noch nicht näher eingegangen war.
»Ich glaube, die Art, wie er sich in sich zurückziehen und mich wie Luft behandeln konnte – manchmal tagelang«, sagte sie sofort. Ihre Augen wurden traurig, ihr Blick verriet eine quälende innere Unsicherheit. »Und er hat nie mit mir gelacht, so als ob er sich in meiner Gegenwart nicht richtig wohl fühlen würde.« Sie zog die blonden Brauen zusammen und sah Monk voll ins Gesicht. »Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
Ebenso schnell schaute sie wieder weg. »Entschuldigung, das war eine dumme Frage, geradezu peinlich. Ich fürchte, ich bin Ihnen überhaupt keine Hilfe – dabei wär’ ich es so gern!« Die letzten Worte klangen so ehrlich erschüttert, daß Monk den starken Drang verspürte, seine Hand in die sonnenhelle Leere zwischen ihnen zu strecken und ihr schmales Handgelenk zu berühren, um ihr auf eine herzlichere, direktere Art als mit Worten klarzumachen, wie gut er verstand. Doch das wäre zudringlich und auf vielerlei Weise zu mißdeuten gewesen. Das einzige, was ihm statt dessen einfiel, war weiterzufragen, um vielleicht doch noch auf zweckdienliche Anhaltspunkte zu stoßen. Er kam sich nicht oft so linkisch vor.
»War er schon lange mit Mr. und Mrs. Furnival befreundet?« Sie blickte auf, verbannte jeden Gedanken an ihre eigenen seelischen Wunden und konzentrierte sich wieder auf das aktuelle Geschehen.
»Ja – seit ungefähr sechzehn oder siebzehn Jahren, glaube ich. In den letzten sieben, acht Jahren ist der Kontakt viel intensiver geworden. Er hat sie so ein–, zweimal die Woche besucht, wenn er zu Hause war.« Sie schaute ihn mit leicht gerunzelter Stirn an.
»Er war mit beiden befreundet. Man könnte schnell auf die Idee verfallen, daß er ein Verhältnis mit Louisa hatte – wegen seines Todes, meine ich –, ich halte das allerdings für ziemlich ausgeschlossen. Maxim war Mama sehr zugetan, wußten Sie das? Manchmal dachte ich eher… aber das steht auf einem anderen Blatt. Helfen kann es uns jetzt bestimmt nicht.
Maxim handelt mit Lebensmitteln, und Papa hat ihm eine Menge Zustellaufträge von der Armee zugeschanzt. Ein Kavallerieregiment verbraucht massenweise Mais, Heu, Hafer und so weiter. Sättel, Zaumzeug und anderen Reiter bedarf hat er, glaube ich, auch an sie vertrieben. Ich kenne zwar keine näheren Einzelheiten, aber ich weiß, daß Maxim ziemlich davon profitiert hat. Inzwischen hat er sich zu einer angesehenen Größe in der Handelsbranche gemausert und wird von seinen Kollegen hoch geschätzt. Er dürfte ein ausgezeichneter Geschäftsmann sein.«
»Hört sich ganz so an.« Monk ließ sich das durch den Kopf gehen. Die Information war zweifellos interessant, doch wie sie in bezug auf Alexandra Carlyon von Nutzen sein könnte, sah er nicht. Mit Korruption hatte das nichts zu tun,
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