Eine Spur von Verrat
Buchans Gesicht wurde hart. Ein eigentümlicher Unmut spiegelte sich in ihren Augen und zupfte an ihrem Mund.
»Ja, allerdings. Ich werde nachsehen, ob er da ist, und aufpassen, daß sie nichts kaputtmachen. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, Miss Edith, ich mache mich auf den Weg. Miss Latterly…« Damit zwängte sie sich geradezu an ihnen vorbei und nahm mit forschem Schritt und klappernden Absätzen die zweite Treppenflucht in Richtung Schulzimmer in Angriff, die sie eher mit stürmischem Anlauf als großer Eleganz bezwang.
7
Wie Rathbone prophezeit hatte, erwies sich der Fall Carlyon für Monk in der Tat als undankbare Aufgabe. Doch er hatte Wort gegeben, sein menschenmöglichstes zu tun, solange man ihn darum bat. Bis zum Prozeß waren es noch über zwei Wochen, und bisher hatte er nicht das geringste ausfindig gemacht, das strafmildernde Umstände für Alexandra bedeuten könnte, geschweige denn den Mord erklären. Es war eine Frage des Stolzes, daß er jetzt nicht aufgab, zudem war seine Neugier geweckt. Er steckte nicht gern eine Niederlage ein. Das war seit seinem Unfall nicht mehr geschehen und davor vermutlich auch nur selten.
Hinzu kam der äußerst praktische Umstand, daß Rathbone ihn nach wie vor bezahlte. Und einen anderen Fall hatte er derzeit nicht.
Am Nachmittag machte Monk sich nochmals auf den Weg zu Charles Hargrave. Er war seit Jahren der Hausarzt der Carlyons. Falls jemand die Wahrheit kannte beziehungsweise Einzelheiten, aus denen man sie ableiten konnte, dann er.
Monk wurde höflich empfangen und, nachdem er sein Anliegen vorgebracht hatte, in denselben angenehmen Raum geführt wie bei seinem ersten Besuch. Hargrave beauftragte die Dienstboten, ihn nur im Notfall zu stören, bot Monk einen Stuhl an und stellte sich zur Beantwortung jedweder Fragen zur Verfügung.
»Vertrauliche Fakten über Mrs. Carlyon darf ich Ihnen selbstverständlich nicht mitteilen«, entschuldigte er sich lächelnd. »Sie ist immer noch meine Patientin, und ich muß von ihrer Unschuld ausgehen, solange die Justiz nicht das Gegenteil bewiesen hat – auch wenn das völlig absurd ist. Ich muß allerdings zugeben, daß ich die Schweigepflicht brechen und es Ihnen sagen würde, wenn ich irgend etwas wüßte, das Ihnen weiterhelfen könnte.« Er hob die Schultern. »Aber es gibt nichts. Außer den üblichen Frauenbeschwerden hat ihr nie etwas gefehlt. Ihre Schwangerschaften sind komplikationslos verlaufen. Die Kinder kamen normal und vollkommen gesund zur Welt. Sie selbst hat sich so schnell und mühelos von den Geburten erholt wie die meisten Frauen. Es gibt wirklich nichts zu erzählen.«
»Im Gegensatz zu Sabella?«
Ein Schatten glitt über sein Gesicht. »Ja. Ich fürchte, Sabella gehört zu den wenigen, die extrem darunter zu leiden haben. Man weiß nicht genau, was der Auslöser ist, doch gelegentlich kommt es vor, daß bei Frauen während der Schwangerschaft, der Geburt oder in der Zeit danach Probleme auftauchen. Sabella ging es bis zur letzten Schwangerschaftswoche recht gut. Die Entbindung war dann ziemlich langwierig und schmerzhaft. An einem Punkt hatte ich sogar die Befürchtung, sie ganz zu verlieren.«
»Das wäre ein schwerer Schlag für ihre Mutter gewesen.«
»Zweifellos. Aber der Tod im Kindbett ist relativ häufig, Mr. Monk. Dieses Risiko gehen alle Frauen ein, und das wissen sie auch.«
»War das der Grund, weshalb Sabella nicht heiraten wollte?« Hargrave schien überrascht. »Nicht daß ich wüßte. Ich glaube, sie wollte ihr Leben wirklich der Kirche widmen.« Seine Schultern hoben sich erneut. »Das ist für Mädchen eines bestimmten Alters nicht weiter ungewöhnlich. Normalerweise wachsen sie da heraus. Es ist eine Art romantische Verherrlichung, ein Weg, vor ihrer unreifen, blühenden Phantasie zu flüchten. Manche verlieben sich in eine idealisierte Männerfigur, wie beispielsweise einen Romanhelden, andere suchen sich das größte Ideal von allen dafür aus den Sohn Gottes. Und schließlich« – er lächelte amüsiert, doch mit einem Hauch von Bitterkeit – »ist dies die einzige Form von Liebe, die die Erwartungen unserer Träume immer erfüllt, die uns nie desillusionieren kann, weil sie in sich selbst eine Illusion ist.« Er seufzte. »Nein, verzeihen Sie, das stimmt nicht ganz. Ich meine, daß sie mystisch ist, daß ihre Erfüllung nicht einer realen Person, sondern dem imaginären Geliebten überlassen bleibt.«
»Und nach der Schwangerschaft und der Geburt ihres
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