Eine Spur von Verrat
Unschuld am Tod ihres Mannes er hatte beweisen wollen. Die Frau mit dem blonden Haar und den bernsteinfarbenen Augen. Soviel war sicher – sonst aber nichts.
Er mußte unbedingt den Rest herausfinden! Wenn er den Fall tatsächlich untersucht hatte, existierten zwangsläufig polizeiliche Unterlagen: Namen, Daten, Orte – Schlußfolgerungen. Er würde schon noch dahinterkommen, wer diese Frau war, was genau sich abgespielt hatte; vielleicht sogar auch, was sie füreinander empfunden hatten und warum es auseinandergegangen war.
Mit frischem Mut und entschlossenem Schritt machte er sich wieder auf den Weg. Er hatte endlich ein Ziel. Am Ende der Albany Street bog er in die Euston Road ein und hatte binnen weniger Minuten eine Droschke auf getrieben. Es war seine einzige Chance. Er würde Evan suchen und ihn die Akten unter die Lupe nehmen lassen.
Ganz so einfach war das jedoch nicht. Er erwischte Evan erst am frühen Abend, als dieser erschöpft und niedergeschlagen von der fruchtlosen Jagd auf einen Mann zurückkehrte, der ein Vermögen unterschlagen und sich damit über den Ärmelkanal abgesetzt hatte. Was nun folgte, war die mühsame Aufgabe, wegen seiner Festnahme mit der französischen Polizei in Kontakt zu treten.
Als Monk ihn auf dem Weg vom Polizeirevier nach Hause abpaßte, zeigte sich Evan – großmütig wie er war – über seinen Anblick zwar erfreut, war aber offenkundig müde und entmutigt. Monk stellte sein eigenes Anliegen ausnahmsweise und vorübergehend zurück. Er lief im Gleichschritt neben seinem früheren Kollegen her und lauschte dessen Sorgen und Nöten, bis Evan, der ihn gut genug kannte, sich schließlich nach dem Grund seines überraschenden Erscheinens erkundigte.
Monk schnitt eine Grimasse.
»Ich brauche Ihre Hilfe«, gab er unumwunden zu, während sie eine keifende Alte umschifften, die sich wegen des Preises mit einem Obstverkäufer in den Haaren lag.
»Im Mordfall Carlyon?« fragte Evan und kehrte auf den Gehsteig zurück.
»Nein – ganz was anderes. Haben Sie schon gegessen?«
»Nein. Haben Sie den Fall Carlyon aufgegeben? Bis zum Prozeß kann’s nicht mehr lange dauern.«
»Haben Sie Lust, mit mir zu Abend zu essen? Gleich um die Ecke ist ein recht gutes Steakhaus.«
Ein unverhofftes Lächeln erhellte Evans Züge. »Ja, herzlich gern. Was ist es dann, was Ihnen auf den Nägeln brennt, wenn nicht mehr die Carlyons?«
»Ich habe noch nicht aufgegeben, ich stelle nach wie vor Nachforschungen an. Aber diesmal dreht es sich um einen Fall aus der Zeit vor meinem Unfall.«
Evans Augen weiteten sich. »Ihr Gedächtnis ist wieder da!«
»Nein, leider – auch wenn ich mich inzwischen natürlich an etwas mehr erinnern kann; hier und da tauchen immer wieder Kleinigkeiten auf. Aber mir spukt eine Frau im Kopf herum, die des Mordes an ihrem Mann beschuldigt war. Ich muß damals die Ermittlungen geführt oder, besser gesagt, versucht haben, ihre Unschuld zu beweisen.«
Sie bogen um die Ecke in die Goodge Street. Auf halber Höhe der Straße lag das Steakhaus. Drinnen war es warm und betriebsam. Das Lokal war überfüllt mit Sekretären und Geschäftsleuten, Handeltreibenden und Angehörigen niederer Berufsstände. Man aß und trank, schwatzte dabei, klapperte mit Messer und Gabel und ließ die Gläser erklingen. Über allem hing der angenehme Duft nach warmem Essen.
Monk und Evan wurden an einen Tisch dirigiert, ließen sich nieder und bestellten, ohne einen Blick in die Karte zu werfen. Für einen Moment fühlte Monk sich in alte Zeiten zurückversetzt; Ruhe und Behaglichkeit hüllten ihn ein. Ihm wurde plötzlich klar, wie einsam er sich ohne Evans Kameradschaft fühlte, trotz der unermeßlichen Freude, Runcorn endlich los zu sein. Was tat er denn schon? Er hangelte sich mühsam und verbissen von einem Privatauftrag zum ändern, ohne sichere Aussicht auf den nächsten und nie mit mehr Geld in der Tasche als gerade mal für ein, zwei Wochen.
»Um was geht’s denn?« fragte Evan, das junge Gesicht teilnahmsvoll und besorgt. »Interessiert Sie der Fall wegen Mrs. Carlyon?«
»Nein.« Monk dachte nicht eine Sekunde daran zu lügen, scheute aber davor zurück, seine Verwundbarkeit zu zeigen.
»Ich werde immer wieder von derart heftigen Erinnerungen überfallen, daß es mir damals unglaublich wichtig gewesen sein muß. Es geht mir dabei nur um mich; ich muß herausfinden, wer sie war und was mit ihr geschehen ist.« Er forschte in Evans Zügen nach den gefürchteten Anzeichen für
Weitere Kostenlose Bücher