Eine Spur von Verrat
einmal dann, wenn sie ihn furchtbar provoziert hat – und weiß Gott, das hat sie! Sie war launisch und herzlos und hat sich geweigert einzusehen, daß er sie für eine Weile verlassen mußte, weil sein Dienst an Königin und Vaterland ihn ins Ausland geführt hat.«
»Sie sollten ein paar der Kondolenzschreiben sehen, die wir erhalten haben«, fügte Randolf seufzend hinzu. »Erst heute früh bekamen wir eins von einem Feldwebel, der mit ihm in der indischen Armee war. Hat’s gerade erst gehört, der arme Kerl. War am Boden zerstört. Schrieb, Thaddeus wäre der beste Offizier gewesen, mit dem er je gedient hätte. War ganz begeistert von seinem Mut, von seiner beflügelnden Wirkung auf die Soldaten.« Er blinzelte heftig, und sein Kopf sank noch etwas tiefer auf seine Brust. Seine Stimme klang belegt, aber Hester konnte nicht genau sagen, ob das ausschließlich an seinem Kummer oder an Kummer gemischt mit Selbstmitleid lag. »Konnte nicht vergessen, wie er die Männer bei Laune gehalten hat, als sie mal von einem Haufen Wilder eingekesselt waren, die wie die Berserker herumgebrüllt haben.« Er starrte in die Ferne, als sähe er eine unter der indischen Sonne glühende Ebene und nicht das Büfett mit dem erlesenen Coalportporzellan. »Hatten fast keine Munition mehr und warteten auf den Tod. Schrieb, Thaddeus hätte ihnen Mut zugesprochen, ihnen gesagt, sie sollten stolz auf ihr Vaterland sein und ihr Leben in Freuden dafür geben.« Er seufzte wieder.
Peverell lächelte wehmütig. Edith schnitt eine Grimasse, teils aus Trauer, teils aus Verlegenheit.
»Das muß ein großer Trost für Sie sein«, bemerkte Hester und registrierte im selben Moment, wie hohl ihre Wort klangen. »Ich meine zu wissen, daß man ihn sosehr bewundert hat.«
»Das wußten wir auch so«, erwiderte Felicia, ohne sie anzusehen. »Alle haben Thaddeus bewundert. Er war ein Vorbild. Für seine Offiziere war er ein Held, seine Truppen wären ihm überallhin gefolgt. Er besaß großes Talent zur Menschenführung, verstehen Sie?« Ihr Blick schweifte zu Hester. »Er war immer gerecht, deshalb waren ihm seine Männer treu ergeben. Feigheit und Unehrlichkeit hat er bestraft – Mut, Ehrenhaftigkeit und Pflichtgefühl belohnt. Er sprach niemandem seine Rechte ab und ließ keinen Mann vors Militärgericht stellen, es sei denn, er war von dessen Schuld überzeugt. Er hielt strenge Disziplin, aber seine Männer liebten ihn dafür.«
»So muß das auch sein in der Armee«, fügte Randolf hinzu, während er Hester wütend anfunkelte. »Haben Sie eine Vorstellung, was passiert, wenn keine Disziplin mehr herrscht, Mädchen? Die Armee fällt unter Beschuß auseinander! Jeder kämpft für sich allein. Unbritisch! Gräßlich! Ein Soldat muß seinem Vorgesetzten jederzeit Gehorsam leisten – auf der Stelle.«
»Ja, ich weiß«, sagte Hester gedankenlos, jedoch aus tiefster Überzeugung. »Manchmal endet es in Ruhm und Ehren, manchmal in einem unverzeihlichen Fiasko.«
Randolfs Miene verfinsterte sich. »Was zum Teufel soll das heißen, Mädchen? Was verstehen Sie denn schon davon? Verdammte Impertinenz! Nur damit Sie es wissen: Ich habe im Peninsularkrieg und bei Waterloo gegen den französischen Kaiser gekämpft – und ihn geschlagen.«
»Ja, Colonel Carlyon.« Sie erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Irgendwie tat er ihr leid; er war alt, wirrköpfig, seines Sohnes beraubt und wurde allmählich mehr als nur ein bißchen rührselig. Dennoch verteidigte sie ihren Boden wie ein Soldat. »Und diese Feldzüge waren wirklich grandios, nichts hat sich in der Geschichte unseres Landes mehr hervorgetan. Aber die Zeiten haben sich geändert, und einige unserer Generäle sind nicht mit ihnen gegangen. Auf der Krim haben sie dieselben Strategien angewandt, doch sie reichten leider nicht mehr aus. Der blinde Gehorsam eines Soldaten ist nur so gut wie das Einschätzungsvermögen und die Kriegslist seines Vorgesetzten.«
»Thaddeus war brillant«, bemerkte Felicia eisig. »Er hat nie eine bedeutende Schlacht verloren, und kein Soldat mußte sein Leben lassen, weil er etwa inkompetent gewesen wäre.«
»Mit Sicherheit nicht«, fügte Randolf bestätigend hinzu, während er sich, von einem plötzlichen Schluckauf befallen, ein Stück tiefer gleiten ließ.
»Wir wissen alle, daß er ein hervorragender Soldat war, Papa«, sagte Edith ruhig. »Und ich bin froh, daß wir Briefe von ehemaligen Mitsoldaten bekommen haben, in denen sie uns ihre tiefe
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