Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
lachen. »Die hätten es am allerwenigsten geglaubt. Wahrscheinlich nicht einmal dann, wenn sie’s mit eigenen Augen gesehen hätten.«
    »Der alte Colonel tut es ja selbst – er wäre folglich keine große Hilfe gewesen. Ob Felicia wohl nie eine Ahnung von dem Ganzen hatte? Es ist mir ein Rätsel, wie Alexandra davon wissen konnte; der Junge hat ihr mit Sicherheit nichts verraten. Er mußte versprechen zu schweigen und war völlig verängstigt. Der General hatte ihm gesagt, seine Mutter würde ihn nicht mehr lieben, sie würde ihn hassen und wegschicken, falls sie es je herausbekäme.«
    Rathbones Gesicht war bleich, die Haut spannte über den Knochen.
    »Woher wissen Sie das?«
    Hester gab ihm der Reihe nach die Geschehnisse des Nachmittags wieder. Der Sekretär klopfte an, um den nächsten Klienten zu melden. Rathbone schickte ihn weg.
    »O Gott«, sagte er leise, als sie fertig war. Er löste sich vom Fenster, wohin er sich nach der Hälfte ihrer Erzählung zurückgezogen hatte. Seine Züge waren vor Mitleid und Wut entstellt. »Hester…«
    »Sie helfen ihr doch, nicht wahr?« flehte sie ihn an. »Sonst wird man sie hängen, und dann hat der Kleine niemanden mehr. Er wird in dem Haus bleiben – und es wird weitergehen.«
    »Ich weiß!« Er drehte sich um und sah auf die Straße hinaus.
    »Ich werde tun, was in meiner Macht steht. Lassen Sie mir etwas Zeit zum Nachdenken. Kommen Sie morgen wieder, mit Monk.« Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Wir haben nicht den geringsten Beweis.«
    Sie wollte hinausschreien, daß es welche geben müsse, wußte aber genau, daß er es nicht aus Leichtfertigkeit oder Resignation gesagt hatte, sondern einzig und allein aus dem Wunsch heraus, präzise zu sein. Sie stand auf und stellte sich hinter ihn.
    »Sie haben schon einmal das Unmögliche möglich gemacht«, sagte sie vorsichtig.
    Er schaute sie lächelnd über die Schulter hinweg an. Sein Blick war unglaublich weich.
    »Meine liebe Hester…«
    Sie blieb, wo sie war, ohne den fordernden Ausdruck in ihrem Gesicht abzumildern.
    »Ich werde es versuchen«, sagte er ruhig. »Ich verspreche Ihnen, daß ich es versuchen werde.«
    Sie warf ihm ein kurzes Lächeln zu, strich mit der Hand über seine Wange, ohne recht zu wissen, warum, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte hocherhobenen Hauptes ins Vorzimmer hinaus.
    Am kommenden Morgen tagten Rathbone, Monk und Hester hinter verschlossenen Türen in der Kanzlei in der Vere Street. Jeglicher Parteiverkehr war eingestellt, bis sie zu einem Entschluß gekommen waren. Man schrieb den sechzehnten Juni.
    Monk hatte soeben von Hesters jüngsten Erkenntnissen in Carlyon House gehört. Mit blassem Gesicht und zusammengepreßten Lippen saß er da, die Hände fest ineinander verschränkt. Die Tatsache, daß er schockiert war, tat zwar seinem Selbstverständnis Abbruch, doch seine Entrüstung ging so tief, daß er sie nicht verbergen konnte. Es wäre ihm nicht im Traum eingefallen, daß ein Mensch aus so guter Familie und mit solch tadellosem Ruf einem derart widerwärtigen Laster frönen könnte. Er nahm es sich nicht einmal übel, daß er nicht selbst darauf gekommen war, so zornig war er. Seine Gedanken drehten sich ausschließlich um Alexandra, Cassian und dem, was kommen würde.
    »Können Sie darauf eine Verteidigung aufbauen?« wollte er von Rathbone wissen. »Wird der Richter das als Motiv gelten lassen?«
    »Nein«, sagte Rathbone leise. Er war an diesem Morgen ausgesprochen ernst, sein Gesicht von den Spuren einer langen Nacht gezeichnet; selbst seine Augen blickten müde. »Ich habe die ganze Nacht Präzedenzfälle studiert, jeden Aspekt der Rechtsprechung auf dieses Thema hin abgeklopft und komme immer wieder zum selben Punkt zurück. Ich denke, unsere einzige Chance ist, die Verteidigung auf dem Vorliegen einer außerordentlich starken Provokation aufzubauen. Das Gesetz sieht vor, daß im Falle außerordentlicher Provokation, und das kann alles mögliche sein, die Anklage von Mord eventuell in Totschlag abzuschwächen ist.«
    »Das reicht nicht«, fiel ihm Monk ins Wort. Seine Stimme wurde vor Erregung laut. »Es war gerechtfertigt. Um Gottes willen, was hätte sie tun sollen? Es war Inzest und widernatürliche Unzucht an ihrem Kind. Sie hatte nicht nur die Berechtigung, sie hatte sogar die Pflicht, ihn davor zu bewahren. Das Gesetz ließ sie im Stich – es hat ihr jedes Recht zum Eingreifen verweigert. Juristisch betrachtet mag es zwar sein Kind sein, aber das war

Weitere Kostenlose Bücher