Eine Spur von Verrat
sie sich Ihren Beobachtungen zufolge?« Er warf einen raschen Seitenblick auf den Richter, doch der enthielt sich jeglichen Kommentars.
»Sie war weiß wie die Wand«, erwiderte Louisa. Sie ignorierte Alexandra noch immer vollständig, als wäre der Zeugenstand leer und sie gar nicht anwesend. »Sie schien so zornig zu sein, wie ich es niemals davor oder danach bei ihr erlebt habe. Ich konnte nicht das geringste tun, um sie aufzuhalten, aber ich führte es auch auf einen Streit zwischen den beiden zurück, der sich wieder legen würde.«
Lovat-Smith lächelte. »Wir gehen davon aus, daß Sie nicht mit einer Eskalation in Gewalt gerechnet haben, Mrs. Furnival, denn in diesem Fall hätten Sie gewiß die entsprechenden Schritte unternommen, um es zu verhindern. Aber haben Sie immer noch keine Idee, was der Grund gewesen sein kann? Zogen Sie beispielsweise nie in Betracht, es könnte sich um Eifersucht auf die Beziehung zwischen Ihnen und dem General handeln?«
Ein flüchtiges, geheimnisvolles Lächeln glitt über ihr Gesicht. Sie schaute zum erstenmal zu Alexandra hinüber, doch das so schnell, daß ihre Blicke sich kaum streiften. »Ein wenig vielleicht«, meinte sie feierlich, »aber nicht ernsthaft. Unsere Beziehung war rein freundschaftlicher Natur, absolut platonisch, und zwar bereits seit Jahren. Ich dachte, sie wüßte das, wie jeder andere auch.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Hätte mehr dahintergesteckt, wäre mein Mann kaum so gut mit dem General befreundet gewesen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, daß sie derart… derart besessen davon war. Ein bißchen neidisch, das schon – Freundschaft ist etwas sehr Kostbares, vor allem, wenn man sie selbst vermißt.«
»In der Tat.« Lovat-Smith erwiderte ihr Lächeln. »Und dann?« Er verlagerte sein Gewicht auf eine Seite und schob die Hände tiefer in die Taschen.
»Mrs. Carlyon kam wieder nach unten, allein.«
»War sie irgendwie verändert?«
»Ich habe nicht darauf geachtet…« Louisa schien darauf zu warten, daß er ihr weiterhalf, doch als er nichts dergleichen tat, fuhr sie ungefragt fort: »Dann ging mein Mann in die Halle.« Sie machte eine dramatische Pause. »In die vordere Halle, nicht die hintere, die wir durchqueren mußten, als wir zu meinem Sohn gingen. Kurz darauf kehrte er zurück, völlig entsetzt, und sagte, General Carlyon hätte einen Unfall gehabt und wäre schwer verletzt.«
»Schwer verletzt?« unterbrach Lovat-Smith. »Nicht tot?«
»Ich nehme an, er war viel zu erschrocken, um ihn sich genauer anzusehen.« Ein schwaches, trauriges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Vermutlich wollte er Charles so schnell wie möglich holen. Das hätte ich jedenfalls getan.«
»Zweifellos. Und Dr. Hargrave ging?«
»Ja. Wenig später teilte er uns mit, daß Thaddeus tot war, und riet uns, es der Polizei zu melden – weil es sich um einen recht außergewöhnlichen Unfall handelte, nicht weil auch nur einer von uns Mord in Betracht zog.«
»Natürlich nicht«, bestätigte Lovat-Smith. »Ich danke Ihnen, Mrs. Furnival. Würden Sie bitte sitzen bleiben – für den Fall, daß mein verehrter Herr Kollege noch Fragen hat.« Er verbeugte sich leicht und wandte sich zu Rathbone um.
Rathbone stand auf, nickte ihm zu und schlenderte zum Zeugenstand hinüber. Er machte einen vorsichtigen, aber in keiner Weise unterwürfigen Eindruck und sah Louisa sehr direkt an.
»Ich möchte mich für Ihre präzise Beschreibung der Ereignisse an jenem verhängnisvollen Abend bedanken, Mrs. Furnival«, sagte er mit sanfter, wundervoll modulierter Stimme. Kaum begann sie zu lächeln, fuhr er ernst fort: »Aber ich glaube, Sie haben ein oder zwei Dinge ausgelassen, die von Bedeutung sein könnten. Wir können es uns nicht leisten, etwas zu übersehen, finden Sie nicht?« Auch auf seinem Gesicht erschien ein Lächeln, doch es hatte nichts Leichtes und erstarb sofort wieder, ohne seine Augen erreicht zu haben. »Ging sonst noch jemand nach oben zu Ihrem Sohn?«
»Ich…« Sie stockte, als wäre sie nicht sicher.
»Mrs. Erskine zum Beispiel?«
Lovat-Smith rutschte auf seinem Stuhl herum und erhob sich halb, änderte dann aber seine Meinung.
»Ja, ich glaube«, räumte Louisa ein. Ihrer Miene war deutlich zu entnehmen, daß sie das für nebensächlich hielt.
»Und wie benahm sie sich, als sie zurückkehrte?« fragte Rathbone freundlich.
Louisa zögerte. »Sie schien… aufgeregt zu sein.«
»Nur aufgeregt?« Rathbone klang erstaunt. »Nicht beunruhigt,
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