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Eine Spur von Verrat

Eine Spur von Verrat

Titel: Eine Spur von Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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niederzulassen.
    Zum erstenmal und das mit einem kleinen Schock sah Hester das ausgezehrte Gesicht von Alexandra Carlyon, der es gestattet worden war sich zu setzen, da sich der Prozeß vermutlich mehrere Tage in die Länge ziehen würde. Es entsprach überhaupt nicht ihrer Vorstellung. Es war bei weitem offener und eigenwilliger, trotz aller Erschöpfung und Blässe, und verriet sowohl große Intelligenz als auch intensive Leidensfähigkeit. Hester wurde plötzlich klar, daß sie es hier mit dem Kummer und den Sehnsüchten eines Menschen zu tun hatten, nicht nur mit einem tragischen Zusammentreffen mißlicher Umstände.
    Mit dem dummen Gefühl, Alexandra mit ihrem Starren zu nahe zu treten, wandte sie den Blick rasch wieder ab. Sie wußte bereits mehr über das sehr private Leid dieser Frau, als irgendwem zustand.
    Der Prozeß begann ohne weitere Einleitungen. Die Anklagepunkte waren bereits verlesen und bestätigt worden, die Eröffnungsplädoyers kurz. Lovat-Smith meinte, die Fakten lägen nur zu deutlich auf der Hand, und er würde Schritt für Schritt beweisen, daß die Angeklagte ihren Ehemann, Thaddeus Carlyon, vorsätzlich aus unbegründeter Eifersucht ermordet sowie anschließend versucht hätte, ihrer Tat den Anschein eines Unfalls zu geben.
    Rathbone erklärte lediglich, eine Geschichte bereitzuhalten, durch die ein völlig neues, furchtbares Licht auf alles fallen würde, was sie bisher wüßten, so daß sie sowohl ihr Herz als auch ihr Gewissen sorgfältig befragen müßten, ehe sie den Urteilsspruch fällten.
    Lovat-Smith rief seine erste Zeugin auf, Louisa Mary Furnival. Ein nervöses Raunen ging durch die Menge, dann, als sie erschien, ein leises Luftanhalten und Stoffrascheln, während man sich reckte, um sie besser sehen zu können. Und ihr Anblick war die Mühe wert. Sie trug ein tiefpurpurfarbenes Kleid mit einem schwach violetten Schimmer, in einem dezent gedämpften Farbton also, mit der schmalen Taille und den wunderschönen Ärmeln jedoch hochmodern und extravagant geschnitten. Ihre Haube saß so frech auf ihrem ausgiebig gebürsteten schwarzen Haar, daß der Effekt absolut umwerfend war. Sie hätte den ernsten Gesichtsausdruck einer kultivierten Dame haben müssen, die den furchtbaren Tod eines Freundes betrauert, doch sie strahlte derart viel Energie und Wissen um ihre eigene Schönheit und Anziehungskraft aus, daß niemand länger als im wirklich allerersten Moment den Eindruck einer solchen Gefühlsregung gewann.
    Sie überquerte den freien Raum vor den Tischen der Anwälte, stieg die Stufen zum Zeugenstand hinauf, wobei sie ihre Röcke mit beträchtlichem Geschick durch die Enge zwischen den beiden Geländern manövrierte, und wandte sich Lovat-Smith zu.
    Unter Eid bestätigte sie mit leiser, heiserer Stimme Namen und Adresse, während sie ihn mit glänzenden Augen ansah.
    »Mrs. Furnival« – er ging ein paar Schritte auf sie zu, die Hände unter der Robe in den Taschen vergraben – »würden Sie dem Gericht bitte erzählen, an welche Ereignisse jenes verhängnisvollen Abends, an dem General Carlyon seinen Tod fand, Sie sich noch erinnern können? Beginnen Sie bitte bei der Ankunft der Gäste.«
    Louisa hatte sich völlig unter Kontrolle. Falls sie sich aus irgendeinem Grund fürchtete, merkte man es ihr in keiner Weise an. Selbst ihre Hände ruhten vollkommen entspannt auf dem Geländer des Zeugenstands.
    »Mr. und Mrs. Erskine waren die ersten«, begann sie, »dann kamen General Carlyon und Alexandra.« Sie sah nicht ein einziges Mal zur Anklagebank. Alexandra hätte ebensogut gar nicht anwesend sein können, so ungerührt blieb sie.
    »Wie war zu der Zeit die Stimmung zwischen dem General und Mrs. Carlyon?« fragte Lovat-Smith. »Ist Ihnen irgend etwas aufgefallen?«
    »Der General wirkte wie immer«, erwiderte Louisa gemessen.
    »Alexandra kam mir recht angespannt vor, und ich hatte gleich die Befürchtung, der Abend könnte schwierig werden.« Sie ließ den Schatten eines Lächelns über ihr Gesicht gleiten. »Als Gastgeberin lag mir natürlich daran, daß die Party ein Erfolg wurde.«
    Gelächter wogte durch den Saal und ebbte gleich darauf wieder ab.
    Hester warf einen raschen Blick auf Alexandra, doch deren Miene blieb ausdruckslos.
    »Wer kam dann?« setzte Lovat-Smith die Befragung fort.
    »Sabella Pole und ihr Mann Fenton. Sie war von Anfang an ausgesprochen unverschämt zu ihrem Vater, dem General.« Louisas Gesicht verdüsterte sich ein wenig, aber sie ließ auch nicht die

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