Eine Spur von Verrat
unverkennbar aus Freude, fast schon Genugtuung. Sie warf Rathbone einen grimmigen Blick zu, als sie überaus vorsichtig die Stufen hinabstieg, geschickt die breiten Reifen ihres Rockes schwingend.
Begleitet von allgemeinem Geraschel und ein paar eindeutigen Beifallsrufen rauschte sie hocherhobenen Hauptes und mit wachsender Befriedigung in den Zügen durch den Gang zwischen den Zuschauerreihen zum Saal hinaus.
Hester spürte, wie sich ihre Muskeln verkrampften und eine völlig irrationale Wut in ihr hochstieg. Nein, sie war nicht fair. Louisa konnte die Wahrheit nicht wissen, sie glaubte aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich, daß Alexandra den General haargenau aus diesem plötzlichen und überwältigenden Eifersuchtsanfall heraus getötet hatte, den sie sich vorstellte. Doch an Hester s Erbitterung änderte das nicht das geringste.
Sie schaute zur Anklagebank hinüber in Alexandras blasses Gesicht und entdeckte keinerlei Haß, keine leichtfertige Verachtung. Sie sah nichts außer Erschöpfung und Furcht.
Der nächste Zeuge war Maxim Furnival. Bleich und bedrückt nahm er seinen Platz im Zeugenstand ein. Er war kräftiger, als Hester ihn in Erinnerung hatte, seine Züge verrieten mehr Tiefgang und Stärke, mehr echte Gefühle. Obwohl er noch nicht ausgesagt hatte, stellte Hester fest, daß ihre Sympathien auf seiner Seite waren. Sie forschte noch einmal in Alexandras Gesicht und erkannte ein kurzes Zusammenbrechen ihrer Selbstbeherrschung, eine unvermittelte Sanftheit, vielleicht sogar einen Hauch von Zärtlichkeit, der in krassem Kontrast zu allem Bisherigen stand. Dann war es wieder vorbei, und die Gegenwart machte ihr Recht von neuem geltend.
Nach Maxims Vereidigung stand Lovat-Smith auf und richtete sogleich das Wort an ihn.
»Sie waren natürlich ebenfalls bei dieser unglückseligen Dinnerparty zugegen, Mr. Furnival?«
Maxim bot einen jämmerlichen Anblick. Er besaß weder Louisas Fähigkeit zur Großtuerei noch ihr Talent, ein Publikum zu begeistern. Sein Gesichtsausdruck, seine ganze Haltung machte deutlich, daß die Erinnerung an die Tragödie, das Wissen um den Mord ihm schwer auf der Seele lasteten. Er hatte Alexandra einmal kurz angesehen, voll Schmerz, doch ohne ihrem Blick auszuweichen, ohne Zorn oder Vorwurf. Was immer er von ihr dachte oder glaubte, es war nichts Schlechtes.
»Ja«, antwortete er matt.
»Würden Sie uns bitte erzählen, was Ihnen von jenem Abend in Erinnerung geblieben ist, angefangen bei der Ankunft der ersten Gäste?«
Mit leiser Stimme, aber ohne zu stocken, lieferte Maxim eine genaue Wiederholung der Fakten aus Louisas Bericht. Der einzige Unterschied bestand in seiner Wortwahl, die stark von dem Wissen über das spätere Unglück beeinflußt war. Lovat-Smith unterbrach ihn erst, als er zu dem Punkt kam, an dem Alexandra allein von oben zurückgekehrt war.
»In welcher Verfassung ist sie gewesen, Mr. Furnival? Sie haben nichts darüber gesagt, aber Ihrer Frau war es eine Bemerkung wert.« Er warf einen Seitenblick auf Rathbone, um einem Einspruch zuvorzukommen, doch der lächelte ihn nur freundlich an.
»Mir ist nichts Besonderes aufgefallen«, entgegnete Maxim. Es war so offensichtlich gelogen, daß die Menge ein unterdrücktes Japsen ausstieß und der Richter ihn zum zweitenmal verwundert ansah.
»Vielleicht strengen Sie Ihr Gedächtnis ein wenig an, Mr. Furnival«, riet Lovat-Smith ihm ernst. »Ich bin sicher, Sie kommen noch darauf.« Rathbone kehrte er bewußt den Rücken zu.
Maxim runzelte die Stirn. »Sie war den ganzen Abend nicht sie selbst.« Er wich Lovat-Smiths Blick in keiner Weise aus.
»Ich habe mir Sorgen um sie gemacht, aber als sie herunterkam auch nicht mehr als vorher.«
Lovat-Smith schien kurz davor, ihn trotzdem noch einmal zu fragen, hörte jedoch, wie Rathbone im Hintergrund aufstand, um Einspruch anzumelden, und besann sich eines Besseren.
»Was geschah dann?« erkundigte er sich statt dessen.
»Ich ging in die vordere Halle, warum, weiß ich nicht mehr, und sah Thaddeus auf dem Boden liegen, um ihn herum die Einzelteile der Ritterrüstung – und in seiner Brust die Hellebarde.« Er machte eine kurze Pause, um die Fassung zurückzugewinnen. Lovat-Smith gönnte ihm die Unterbrechung.
»Er war offensichtlich sehr schwer verletzt, viel zu offensichtlich für mich, als daß ich ihm hätte helfen können, also lief ich zum Salon, um Charles Hargrave zu holen, den Arzt.«
»Ja, ich verstehe. War Mrs. Carlyon dort?«
»Ja.«
»Wie nahm
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